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Uriel Administrator Status: Offline Registriert seit: 05.06.2009 Beiträge: 969 Nachricht senden |
Als inneres Prinzip der menschlichen Handlungen sind die Seelen- vermögen zu betrachten, sofern sie durch entsprechende habitus operativi, durch wirksam tätige Fertigkeiten entwickelt und vervollkommnet sind. Sie bilden das innere Prinzip des actus humanus, im Unterschied von den äußeren Prinzipien, nämlich Gnade, Welt und Satan, auch die Gnade wird als »äußeres« Prinzip bezeichnet, so innerlich sie in ihrem Verhältnis zur Seele sein mag, natürlich lediglich im Vergleich zu den inneren Prinzipien. Die durch den Habitus zu vervollkommnenden Seelenvermögen sind Verstand, Wille und das niedere Begehrungsvermögen mit seinen beiden Teilen. Der Grund, weshalb diese Vermögen ergänzt werden müssen, liegt darin, dass sie, wie etwa der Wille, so oder so sich betätigen können, sie sind also nicht einseitig bestimmt, sondern einer Ausbildung fähig und bedürftig; anders bei den natürlichen notwendigen Fähigkeiten etwa des Tieres, die diesem als einseitig bestimmte Fertigkeiten mitgegeben sind. Sollen sich die aufgeführten menschlichen Seelenvermögen richtig betätigen, soll daraus ein Akt hervorgehen, wie er von der Natur oder von Gott gewollt ist, dann muss zuvörderst durch den Habitus die Richtung der Betätigung festgelegt werden, so muss das sinnliche Begehrungsvermögen leicht lenkbar und gefügig gemacht werden, damit es der Vernunft gehorche, »wie das Kind seinem Vater gehorcht«, desgleichen muss der freie Wille gewöhnt werden, auf die Stimme der Vernunft zu achten, und ähnlich muss der Seelenteil, der seinem Wesen nach, nicht nur wie Begehrungsvermögen und Wille durch Teilnahme, vernünftig ist, nämlich die Vernunft selbst, durch den tätigen Verstand und die zweckentsprechende Anwendung der einleuchtenden Prinzipien die naturgemäße Richtung und Ausbildung erhalten. Die Seelenkraft, die in solcher Weise durch den die Richtung weisenden Habitus vervollkommnet wird, heißt Subjekt des Habitus (Vgl. Quaest. disp. de virt. in com. q. un., a. 1). Ist damit die Bedeutung des Habitus für die dadurch zu vervollkommnenden Seelenvermögen umschrieben, so ist nunmehr noch genauer zu bestimmen, was man unter dem Habitus versteht und welche Bedeutung er für den Akt, der aus ihm hervorgeht, besitzt. Der Habitus ist nichts anderes als eine durch intensive Akte entwickelte und gefestigte, also eine dauernde Qualität oder Disposition; intensive Akte sind erforderlich, denn durch Akte, die hinter der Disposition an Energie zurückbleiben, wird jene gemindert (S. th. 1, 2, q. 52, a. 3). Verstärkt wird der Habitus nicht etwa so, dass zu diesem Tätigkeitsprinzip oder dieser Form eine neue Form hinzukommt, sondern so, dass dieselbe Form tiefer in die Seele eingesenkt wird, ähnlich wie der Baum an Stärke zunimmt, wenn er seine Wurzeln tiefer in den Boden treibt, es wird also die Intensität des Habitus oder der Grad gesteigert, in dem das Subjekt die Form innehat; abhängig ist die Intensität teils von der natürlichen Disposition, teils von der eigenen stetigen Betätigung, teils aber auch von Gottes Einwirken. Gemindert oder zerstört wird der erworbene natürliche Habitus, nicht etwa der Habitus der ersten Prinzipien und der natürlichen Hinneigungen, indirekt durch Unterlassung der entsprechenden Akte, weil nun andere Kräfte sich geltend machen, sowie direkt durch entgegengesetzte Betätigung, sofern nämlich auf diese Weise ein entgegengesetzter Habitus verursacht wird (vgl. Nr. 45, 2. 50, 2. S. th. 1, 2, q. 49ff.). Die sittliche Bedeutung des Habitus ergibt sich daraus, dass er der Betätigung die erforderliche Festigkeit und Stetigkeit verleiht, ohne den Habitus würde die Betätigung oft genug regellos und schwankend sein, nur so wird die Gleichmäßigkeit gewährleistet. Ferner wird durch den Habitus ein rasches, von Bedenken freies Handeln, wie es der Augenblick häufig erheischt, bewirkt, denn dank dem Habitus kann man handeln, wann man will (Aristoteles) oder, wenn der Augenblick gekommen ist; anders, wenn man etwa den Habitus der Wissenschaft oder der Tugend nicht besitzt und wissenschaftlich denken oder tugendgemäß handeln soll. Zudem bewirkt der Habitus, dass die Tätigkeit mit Leichtigkeit und Befriedigung vollzogen wird, der Habitus ist der Natur ähnlich: er macht die ihm eigentümliche Betätigung zu einer natürlichen und daher mit Befriedigung verbundenen (Quaest. disp. de virt. q. 1, a. 1. In 3 Sent. d. 23, q. 1, a. 1). 1. Begriffsbestimmung der Tugend im Allgemeinen. Die zum Guten disponierende Tugend ist nach dem Dargelegten ein Habitus, dieser aber bildet eine Ergänzung zu einem Seelenvermögen, die Tugend ist also potentiae complementum, sie erscheint als Ergänzung und Vervollkommnung eines Seelenvermögens. Nach einer anderen Bestimmung ihres Wesens durch Aristoteles ist die Tugend das, was sowohl das Subjekt, den Träger der Tugend, als auch dessen Betätigung gut und vollkommen macht, nicht verschieden ist die weitere aristotelische Wesensbestimmung, wonach die Tugend sich darstellt als dispositio perfecti ad Optimum, die Tugend erweist sich demnach als Disposition von etwas (von einem Vermögen), das vollkommen oder so beschaffen ist, wie es die Natur erfordert, und daher befähigt ist ad optimum actum, zu vollkommener, naturgemäßer Tätigkeit. Alle diese Bestimmungen der Tugend beziehen sich nicht nur auf die Tugend im engeren Sinn, also auf die Vervollkommnung des Willens, sondern überdies auf die virtus im weiteren Sinne: auf die virtus oculi, die naturgemäße Sehkraft, oder auf die Tüchtigkeit etwa des Pferdes zu seinem Dienste. Nimmt man freilich die Ausdrücke »vollkommen« und »gut« im ethischen Sinn, alsdann betreffen diese Definitionen die Tugend im eigentlichen Sinne. Nur diese, die Fertigkeit im sittlich Guten, hat Augustinus vor Augen, wenn er die Tugend bestimmt als bona qualitas mentis, qua recte vivitur, qua nullus male utitur. Danach ist die Tugend eine dauernde gute Beschaffenheit oder ein sittlich guter Habitus, dies ist das entscheidende Moment oder, wie Thomas sagt, die causa formalis der Definition. Sodann wird das Subjekt der Tugend, genauer der letzte Träger der Tugend angegeben, nämlich die Seele (bona qualitas mentis); die Tugend ist ja Vervollkommnung eines Vermögens der Seele, also auch dieser selbst, somit ist Subjekt der Tugend in letzter Linie die Seele; dies ergibt sich auch daraus, dass die tugendhafte Betätigung des Menschen wie jede menschliche Betätigung von der Seele herrührt mittels irgendeines Vermögens (S. th. 1, 2, q. 56, a. 1). Das Objekt der Tugend (materia circa quam) fehlt in der augustinischen Definition, mit Recht, denn es soll ja die Tugend im allgemeinen definiert werden, gerade das Objekt ist es, wonach die einzelnen Tugenden sich unterscheiden, das Objekt ist das artunterscheidende Merkmal, gehört daher nicht zur Definition der Tugend, als Gattung genommen. Ziel der Tugend aber ist, da sie sich als wirksam tätiges Prinzip darstellt, die Betätigung; nun bedeuten von den wirksam tätigen Dispositionen die einen eine beständige Geneigtheit zum Guten, die anderen eine solche zum Bösen, wieder andere bald zu diesem, bald zu jenem, wie etwa die Meinung wahr oder falsch sein kann; die Tugend macht lediglich zum Guten geneigt, nicht zum Bösen, deshalb die Bestimmung: qua recte vivitur, und sie macht immer zum Guten geneigt, nicht bald zum Guten bald zum Gegenteil, deshalb die Bestimmung: qua nullus male utitur (S. th. 1,2, q. 55, a. 4). Die Tugend bewirkt also, daß man richtig, nämlich nach der Vernunft oder, bei den übernatürlichen Tugenden, nach dem Glauben lebt, und sie bedeutet nicht, wie etwa die Kunst, eine Fertigkeit, die man so oder so gebrauchen kann, sondern sie bewirkt zugleich den sittlich guten Gebrauch. 2. Die erwähnte Begriffsbestimmung erstreckt sich auf die natürlichen oder erworbenen sittlichen Tugenden, auf die Verstandestugenden oder dianoetischen Tugenden, jedoch nur, sofern diese eigentliche Tugenden sind. Wohl vervollkommnen die intellektuellen Tugenden den Verstand und machen seine Betätigung vollkommen, aber sie bewirken an sich nicht den guten Gebrauch, dieser geht auf den freien Willen zurück, die sittlich entscheidende Instanz: um den sittlich guten Gebrauch herbeizuführen, bedarf es der Tugend, die den Willen vervollkommnet, bedarf es der Gerechtigkeit, der Liebe (S. th. 1, 2, q. 57, a. 1. a. 3); sittlich gut heißt ein Mensch nicht, weil er gelehrt oder weil er Künstler ist, sondern weil sein Wollen geordnet und dem letzten Ziel angepasst ist. Subjekt der Tugend im eigentlichen Sinn kann daher nur der Wille oder ein vom freien Willen geleitetes Vermögen sein (S. th. 1,2, q. 56, a. 3); hier kommt das Gute nicht nur in Betracht, sofern es dem betreffenden Vermögen entspricht und damit harmoniert (bonum materialiter), wie das Wahre der Vernunft entspricht, sondern das Gute kommt in Betracht unter dem Gesichtspunkt des Guten, das Gute als solches, ein derartiger Habitus betrifft das Gute formaliter (S. th. 2, 2, q. 47, a. 4. 1, 2, q. 61, a. 1: virtus humana secundum perfectam rationem virtutis requirit rectitudinem appetitus, huiusmodi enim virtus non solum facit facultatem bene agendi, sed ipsum etiam usum boni operis causat). Zur Charakterisierung der eingegossenen übernatürlichen Tugend fügt Augustinus seiner Definition der Tugend noch die weitere Bestimmung hinzu: quam Deus in nobis sine nobis operatur, keineswegs soll jedoch dadurch die eigene disponierende Tätigkeit als überflüssig bezeichnet oder ausgeschlossen werden (S. th. 1,2, q. 92, a. 1 ad 1). 3. Was die Entstehung der Tugend betrifft, so ist mit Aristoteles (Nik. Eth. 2, 1) daran festzuhalten, dass uns die Tugenden weder von Natur noch ihr zuwider zuteil werden, wir haben vielmehr die natürliche Anlage, sie in uns aufzunehmen, zur Wirklichkeit aber wird diese Anlage durch Gewöhnung, die Tugend ist dem Menschen natürlich secundum quandam inchoationem, dem Anfang oder dem Keime nach, denn es finden sich in der menschlichen Vernunft von Natur gewisse einleuchtende Prinzipien nicht nur für das Wissen als solches, sondern auch für die Handlungen; hierin haben wir die Quelle (seminaria) der intellektuellen und der sittlichen Tugenden zu erkennen, dieser, sofern im Willen ein gewisses natürliches Streben nach dem vernunftgemäßen Guten sich findet (S. th. 1, 2, q. 63, a. 1. Nr. 54, 81 f.). Unrichtig ist also sowohl die Auffassung der Platoniker als die des Avicenna; jene waren nämlich der Ansicht, Tugenden und Wissenschaften bestehen bereits von Natur in der Seele, durch Belehrung und Schulung seien lediglich die Hindernisse für die Seele infolge der Last des Körpers zu beseitigen; Avicenna dagegen vertrat die Meinung, als stammten Wissenschaften und Tugenden ganz von außen, als wären sie lediglich aus dem Einfluss des tätigen Verstandes (intelligentiae agentis) zu erklären (S. th. 1,2, q. 63, a. 1). Zur Wirklichkeit oder Vollendung gelangt die von Natur bestehende Anlage durch Gewöhnung und Erziehung, so bei den sittlichen Tugenden, oder durch Belehrung, Nachdenken und Erfahrung, so bei den intellektuellen Tugenden. Die Tugenden sind einer Steigerung fähig, weil der Annäherung an das nie ganz erreichbare sittliche Ideal keine Grenze gezogen ist und weil die Entfaltung der Energie auf Seiten der menschlichen Vermögen in unbestimmtem Maße stattfinden kann (ex parte subiecti participantis); anders die Stoiker, die keine graduellen Unterschiede der Tugend annahmen, eine Auffassung, gegen die sich Augustinus wandte. Durch fortgesetzte intensive gute Akte, nicht durch bloßes Nachdenken und Lernen, wie Sokrates meinte, entsteht die Moraltugend oder Charaktertugend; dies deutet der griechische Ausdruck für Sitte, ethos, an, der mit dem Ausdruck, womit die Gewohnheit bezeichnet wird, verwandt ist; im Lateinischen bedeutet mos soviel als Wille, dann auch Wille im Sinne des als Norm die Handlungen regelnden Gesetzes, ein ebenfalls lehrreicher Sprachgebrauch. Die Frage, wie die Moraltugend, die den Willen ordnende Tugend, näherhin entsteht, ist dahin zu beantworten, dass die Vernunft dem Begehrungsvermögen ein Tätigkeitsprinzip, eine »Form«., einprägt, die mit der Form der Naturdinge Ähnlichkeit besitzt; infolge stetiger, von der Vernunft und ihren ersten Prinzipien geleiteter Tätigkeit erhält das Begehren eine bestimmte Richtung, dank der so geschaffenen Form betätigt sich das Strebevermögen leicht und stetig, als hätte es diese bestimmte Richtung von Natur. Daher ist die Moraltugend quaedam dispositio sive forma sigillata et impressa in vi appetitiva a ratione, die Moraltugend ist also eine dem Strebevermögen von der Vernunft eingeprägte Form, und die Vernunft erscheint so auch hier als »Wurzel aller Tugenden« (Quaest. disp. de virt. in com. q. un., a. 9; vgl. a. 4, ad 3. In Eth. 2,1, lect. l,b). Wie der intellectus possibilis die übersinnlichen Erkenntnisbilder von der tätigen Vernunft, dem intellectus agens, empfängt und dadurch vervollkommnet wird, so ist der freie Wille von Natur darauf angelegt, von der Vernunft, die sein Ziel, das Gute, erkennt und ihm vorhält, geleitet zu werden, der von der Vernunft seinerseits geleitete Wille hat wieder das sinnliche Begehren zu leiten und ihm durch stetige Betätigung in der Richtung auf das Ziel hin die erforderliche Form zu geben; dies ist möglich, eben weil das untergeordnete Vermögen geschaffen und bestimmt ist, von dem höheren beeinflusst zu werden und die Richtung zu empfangen, inferius natum est recipere a superiori; in letzter Linie ist es also die gebietende Vernunft,, die sich als die große Erzieherin zur Tugend erweist, von ihr stammt die entwickelte Neigung zu allen Akten der Tugenden, existieren doch in ihr die Keime aller Tugenden (in qua existunt semina omnium virtutum, Quaest. disp. de virt. a. 8 ad 10. Nr. 54. 81 f.). So empfängt das Begehrungsvermögen durch die Vernunft die stetige Richtung auf das Ziel oder auf das Gute, das den Gegenstand des Willens bildet. Die Moraltugend regelt demgemäß das Begehren, sowohl das geistige (vgl. S. th. 2, 2, q. 58, a. 4 ad 1 und 3) als auch das sinnliche Begehren. Das höhere Begehrungsvermögen wird durch die Tugend der Gerechtigkeit geordnet (vgl. S. th. 1,2, q. 57, a. 6); ihr Subjekt ist also der freie Wille. Das niedere Strebevermögen wird geregelt durch die übrigen Moraltugenden (S. th. 2, 2, q. 58, a. 10). Auch der konkupiszible und der iraszible Teil des sinnlichen Begehrungsvermögens können somit Subjekt von Tugenden sein, nicht an sich, aber sofern sie von der Vernunft, der sie zu gehorchen bestimmt sind, geleitet werden und an ihr teilnehmen; so erscheint die hier sich findende Tugend als quaedam habitualis conformitas istarum potentiarum ad rationem, als eine gewisse zuständlich gewordene Anpassung dieser sinnlichen Vermögen an die Vernunft (S. th. 1,2, q. 56, a. 4). Speziell haben die Moraltugenden, die im sinnlichen Begehrungsvermögen sich finden und sich als Gefügigkeit gegenüber der Vernunft darstellen, die Bewegungen des sinnlichen Strebevermögens zu regeln, also die sinnlichen Affekte, so dass man diese hat wann man soll, weswegen, gegen wen und wie man soll. Doch ist das rechte Maß oder, was dasselbe besagt, die vernunftgemäße Mitte nicht für alle stets gleich zu bestimmen, sondern von der Vernunft unter Beachtung aller Umstände festzusetzen; offenbar ist das, was für die Frau Mut und mutiges Verhalten bedeutet, dies noch nicht ohne weiteres auch für den Mann, und das, was beim Manne als Zartgefühl gelten kann, ist es noch nicht ohne weiteres auch für die Frau; die vernünftige Mitte ist oft genug individuell verschieden, was ja auch etwa im Hinblick auf die Mäßigkeit einleuchtet. Daher ist die Moraltugend »ein Habitus des Wählens, der uns geneigt macht, die vernünftige, nach uns bemessene Mitte (medium quoad nos) einzuhalten, wie die Klugheit sie vorschreibt«. Doch ist zu bemerken, dass hier nur an die Moraltugend zu denken ist, sofern sie das sinnliche Begehren regelt. So bewirkt etwa die Sanftmut, dass man den sinnlichen Affekt des Zornes hat, wann man ihn haben soll, und nicht mehr, als es der rechten Vernunft entspricht. Leicht ist nun auch ersichtlich, dass die Moraltugenden, die das sinnliche Begehren ordnen, in der Mitte zwischen zwei Extremen oder zwei entgegengesetzten Fehlern stehen, etwa die Mäßigkeit zwischen Unmäßigkeit und allzu großer Härte gegen sich selbst, die Sanftmut zwischen Zornmütigkeit und Indolenz. Aber ebenso wird klar, dass die Gerechtigkeit hier außer Betracht zu lassen ist, denn sie stellt sich nicht als Mitte zwischen zwei Extremen dar, da man wohl durch ein Zuwenig gegen die Gerechtigkeit fehlen kann, aber das andere Extrem nicht vorhanden ist. Unterschieden werden die Tugenden, so auch die Moraltugenden insgesamt, nach den verschiedenen Akten, und diese wieder nach dem verschiedenen Objekt, das an und für sich angestrebt wird; nicht das Objekt äußerlich und für sich genommen entscheidet, wenn es gilt, die artverschiedenen Tugenden zu bestimmen, ebenso wenig die individuelle Absicht; vielmehr empfangen Akt und Habitus des Begehrungsvermögens Art und Namen a proprio fine, von dem eigentümlichen Zweck, der an sich erstrebt wird, denn es handelt sich beim Begehren um das honum finale, um das Zielgut des Menschen; wo immer eine verschiedene ratio bonitatis, ein verschiedener Gesichtspunkt der Güte hervortritt, also ein verschiedenes Verhältnis zur leitenden Vernunft, da haben wir eine der Art nach von den anderen verschiedene Tugend. Wie es demnach unrichtig wäre, zu sagen, der Geiz sei Liebe zur Arbeit, weil ja doch der Geizige sich des Geldes wegen müht und das Zielgut ihm das Geld ist, so wäre es unrichtig, etwa Liebe, Verlangen und Freude als der Art nach verschieden zu betrachten, da sie auf denselben Grund, die Caritas, zurückgehen (S. th. 1, 2, q. 60, a. 1. 2,2, q. 19, a. 3. q. 51, a. 2. q. 109, a. 2 ad 2). Demgemäß unterscheiden sich die Moraltugenden nach den Objekten, worin die Vernunft in verschiedener Weise die Mitte feststellt (adinvenit, De malo, q. 2, a. 6. S. th. 1, 2, q. 60, a. 5.). Die Auskunft, man solle die Mitte zwischen dem Zuviel und Zuwenig einhalten, hätte allerdings wenig zu bedeuten, wenn nicht die Verstandestugenden eben dazu dienten, die richtige Mitte zu finden. Aus diesem Grunde widmen Aristoteles und Thomas der Lehre von den Verstandestugenden so große Sorgfalt. Die Verstandestugenden vervollkommnen den Intellekt, und zwar sowohl nach der theoretischen als auch nach der praktischen Seite; dabei handelt es sich nicht um zwei verschiedene Vermögen der Seele, sondern derselbe Intellekt heißt bald spekulative oder theoretische, bald praktische Vernunft, je nachdem er auf Erkenntnis oder Betrachtung der Wahrheit als solcher oder auf das menschliche Handeln gerichtet ist. Mit dieser Einschränkung gilt, dass sowohl der spekulative als auch der praktische Intellekt Träger von gewissen habituellen Fertigkeiten ist und sein kann. Als Habitus der spekulativen Erkenntniskraft erscheint vor allem der Intellekt, die unmittelbare Vernunfteinsicht oder der habitus principiorum primorum demon-strationis, wobei einleuchtende Grundsätze in Frage kommen, die sich auf die notwendige Wahrheit beziehen, die sich nur so und nicht anders verhalten kann. Zum spekulativen Intellekt gehört sodann die Wissenschaft, der habitus conclusionis ex causis inferioribus, sowie die Wissenschaft der Wissenschaften, die Weisheit, quae considerat causas primas; die Wissenschaft zieht die Folgerungen aus den notwendigen Wahrheiten und hat es zu tun mit den geschaffenen Dingen, mit den untergeordneten Ursachen, während die Weisheit von der ersten ungeschaffenen Ursache ausgeht, es also mit der Betrachtung der göttlichen Dinge zu tun hat. Zur praktisch gerichteten Vernunft gehören Klugheit und Kunst. Außer dem Subjekt haben sie die Eigentümlichkeit gemeinsam, dass sie zum Gegenstand das Kontingente, also im Unterschied von der Wissenschaft das nicht Notwendige haben, das sich so oder anders verhalten kann, betrifft doch z. B. die Klugheit die konkreten einzelnen, immer wieder nach den Umständen verschiedenen Handlungen, wobei von jener Notwendigkeit natürlich nicht die Rede sein kann. Klugheit und Kunst unterscheiden sich aber wesentlich dadurch, dass die Kunst es mit dem facere, die Klugheit mit dem agere zu tun hat; dieses, das menschliche Handeln, ist geeignet, den Handelnden selbst zu vervollkommnen, die Klugheit ist daher immanent, ein in der Seele beschlossenes, den Handelnden selbst durch die Beziehung auf das Ziel des Lebens vervollkommnendes Prinzip, die Kunst dagegen betrifft das facere, das Hervorbringen und äußere Schaffen, hier bildet den Gegenstand des Tuns lediglich der äußere Stoff, ein äußeres Werk, und je mehr es gelingt, die äußere Materie zu gestalten, um so höher steht die Kunst (In Metaph. 1,1, lect. 1, 34); während die Klugheit demgemäß als Tugend im eigentlichen Sinne erscheint (S. th. 1, 2, q. 21, a. 2 ad 2. q. 57, a. 4.), ist die Kunst an sich nur praktische Tüchtigkeit, die ethisch so oder so verwendet werden kann, und sie ist in diesem Zusammenhang lediglich in Betracht zu ziehen, um das Wesen der Klugheit als Tugend noch deutlicher hervortreten zu lassen. Gleichfalls nicht Tugenden im eigentlichen Sinne sind die anderen intellektuellen Tugenden, wiewohl sie in näherer Beziehung zur eigentlichen Tugend stehen; denn die Moraltugend setzt z. B. den Habitus des Intellekts bzw. der Synte-resis (S. th. 2, 2, q. 47, a. 15) voraus; da sie aber auch an sich den Willen nicht vervollkommnen, sind sie als eigentliche Tugenden höchstens insofern zu betrachten, als ihr Gebrauch ein sittlicher, also von dem Willen, dem »Zügelführer« der Tugenden, diktierter ist (In 2 Sent. d. 23, q. 1, a. 4, sol. 1. Vgl. jedoch Nr. 120 und 270). Von den intellektuellen Tugenden ist vor allem die Klugheit zu besprechen, weil sie in unmittelbarster Beziehung zu den Moraltugenden steht, hat sie doch, wie die Definition der Moraltugend zeigt, die Mitte für diese zu bestimmen. Dass auch die hernach zu behandelnde Weisheit, die zum Gegenstand die höchste Ursache hat, für die Moraltugend von größter Bedeutung ist, versteht sich von selbst. Ebenso ist unschwer zu erkennen, dass die Wissenschaft gute Dienste leistet, wenn es gilt, die für die Moraltugend wesentlichen Grundsätze zu entwickeln; von außerordentlicher Bedeutung wird zudem die Wissenschaft, ähnlich wie Intellekt und Weisheit, für Tugendlehre und Tugendleben, wenn man sie als Gabe des Heiligen Geistes in Betracht zieht. 1. Wesen der Klugheit. Die Klugheit hat die Aufgabe, im Licht der scintilla conscientiae das Gute im einzelnen Fall zu gebieten. Sie ist nämlich nach einer Umschreibung Leos XIII. die Fertigkeit, gemäß richtiger Einsicht zu handeln in den Dingen, die sich auf das letzte Ziel, die Glückseligkeit, beziehen, sie folgt dabei dem goldenen Mittelweg und bewirkt, dass man weder feige verzagt noch vermessen auf sich selbst vertraut. Kurz bestimmt Thomas im Sinne des Aristoteles die Tugend der Klugheit als recta ratio agibilium, als richtige Lebensführung und Lebensgestaltung durch die Einsicht, im Unterschied von der Kunst, der recta ratio factibilium, und der Wissenschaft, der recta ratio scibilium. Sie ist, wie bereits festgestellt wurde, ein Habitus der praktischen Vernunft; das Verfahren der praktischen Vernunft bei Vollziehung des Aktes der Klugheit ist ähnlich wie bei der Gewissenstätigkeit das diskursive. Die durch den Habitus der Klugheit vervollkommnete praktische Vernunft geht nämlich von den einleuchtenden Grundsätzen der Synteresis aus, in deren Licht erwägt dann die spekulative Vernunft die Mittel und Umstände, die erforderlich sind, damit die Handlung der Vernunft entspricht, nach sorgfältiger Überlegung gibt die (spekulative) Vernunft das Urteil ab, wie und wann und überhaupt unter welchen Umständen zu handeln ist; auf Grund dieses Urteils gebietet die praktische Vernunft, was zu geschehen hat, indem sie jenes Urteil anwendet. Der Obersatz lautet: es ist zu tun, was dem höchsten Ziel oder was der Vernunft entspricht, der Untersatz lautet: unter diesen Umständen vollzogen, ist die Handlung gut, dann folgt der Schluss oder die Anwendung in Gestalt des wirksamen Befehls von seiten der praktischen Vernunft, die Handlung zu vollziehen. So hat man dann die Affekte, wann und wie man sie haben soll, die Handlung steht in Einklang mit dem medium rationis, sie ist vernunftgemäß (S. th. 2, 2, q. 47, a. 7 f.). Die Akte der Klugheit sind also das Überlegen der Mittel und Wege zum Ziel, das Beurteilen und Feststellen der vernunftgemäßen Handlungsweise sowie das Vorschreiben der Handlung hic et nunc, der eigentliche, weil entscheidende Akt der Klugheit. Leitstern der wahren Klugheit ist das Ziel des gesamten Lebens (S. th. 2, 2, q. 47, a. 13); nicht vereinbar damit ist daher selbstverständlich die Klugheit des Diebes oder des Betrügers, dagegen ist damit durchaus vereinbar die Klugheit des Kaufmanns und des Politikers, die unlautere Mittel verschmähen. 2. Entstehung. Die Klugheit kann nicht angeboren sein, denn die Mittel zum Ziel, womit sie es zu tun hat, sind mannigfach verschieden nach Person und Umständen, die rechte Mitte ist daher oft von Fall zu Fall wieder anders zu bestimmen; die von der Natur gegebene Disposition und Neigung dagegen betätigt sich stets ganz in derselben Weise. Allerdings sagt Cicero von der Moraltugend, sie sei ein Habitus, der nach Art der Natur der Vernunft angemessen sei, danach zielt die Moraltugend von Natur auf die rechte Mitte ab, aber diese Mitte ist nicht immer gleich zu bestimmen, deshalb muss die allgemeine und in gleicher Weise sich geltend machende natürliche Neigung und Richtung durch die Klugheit ergänzt werden (S. th. 2, 2, q. 47, a. 7 ad 3. a. 15). Die Klugheit ist daher so wenig angeboren, dass sie vielmehr gleich der Erfahrung, die dabei vorausgesetzt wird, als »Frucht langer Jahre« erscheint (S. th. 2, 2, q. 47, a. 14 ad 3. a. 16 und ad 2. q. 49, a. 1 und 3). Die Klugheit bezieht sich ja auf das einzelne, auf die einzelne konkrete Handlung, um hierüber ein zuverlässiges Urteil zu erlangen, bedarf es des Nachdenkens, der Belehrung und der Erfahrung. Aber die Tugend der Klugheit setzt überdies eine Seele voraus, frei von Leidenschaften, frei von ungeordneten Affekten (In Eth. 6, 9, lect. 7, 1. S. th. 2, 2, q. 47, a. 16); dies hängt mit dem diskursiven Charakter der Klugheit zusammen, die, von dem richtig erkannten Endziel ausgehend, die einleuchtenden praktischen Prinzipien auf das Tun anwendet, »wie einer aber ist, so stellt er sich das Ziel vor«, »ist man einmal durch Lust oder Unlust bestochen, so verbirgt sich sofort das rechte Prinzip und man vergisst, dass man seinetwegen alles wählen und tun soll.« Der Unmäßige, der Unzüchtige stellt sich das Ziel nunmehr anders vor, als damals, da er noch das Vernunftgebot befolgte, das Prinzip, dass man mäßig, dass man keusch sein soll, ist für ihn verdunkelt und nicht mehr maßgebend; die Klugheit kann daher bei ihm nicht zum richtigen Schluss und Befehl gelangen (vgl. In Eth. 3, 7, lect. 13, a). 3. Verhältnis der Klugheit zu den Moraltugenden. Die sittlichen Tugenden haben die Klugheit zur Voraussetzung, dies ergibt sich aus dem bisher Ausgeführten und aus der Definition der Moraltugend ohne weiteres; denn die Klugheit hat die Aufgabe, die rechte Mitte oder die richtigen Mittel zu bestimmen, ausgehend von den durch die Synteresis gegebenen Grundsätzen und in letzter Linie von dem richtig erkannten Ziel des Menschenlebens; Sache der Klugheit ist es daher, die anderen Tugenden zu leiten und ihnen zu gebieten (S. th. 2, 2, q. 56, a. 1. q. 47, a. 6 ad 3), woraus auch folgt, dass die Klugheit an Rang den Moraltugenden vorangeht. Aber aus den bisherigen Ausführungen geht zugleich hervor, dass die Klugheit die sittlichen Tugenden voraussetzt, denn »wie einer ist, stellt er sich das Ziel vor«, ist das Urteil durch den ungeordneten Affekt bestochen, so kann die Klugheit nicht richtig vorschreiben, was zu tun und zu lassen ist, denn sie geht von dem höchsten Zweck und den daraus sich ergebenden untergeordneten Zwecken aus, also vom Ziel der Keuschheit, der Mäßigkeit, der Sanftmut, dazu verhält man sich richtig eben dank den sittlichen Tugenden (In Eth. 6, 5, lect. 4, h). So besteht also eine Wechselbeziehung und Wechselwirkung zwischen Klugheit und Moraltugenden, die Klugheit setzt die Moraltugenden und diese setzen die Klugheit voraus; scheinbar ein circulus vitiosus; gleichwohl besteht das angedeutete Wechselverhältnis, und es ist unschwer rationell zu erklären, denn jene Ziele, wovon die Klugheit auszugehen hat, sind von Natur gegeben in der Synteresis, da sie jedoch allgemeinen Charakter tragen, da sie nur die allgemeine Richtung weisen, hat die Klugheit, die zunächst ebenfalls keimhaft vorhanden ist, die Aufgabe, die Grundsätze immer wieder auf das einzelne anzuwenden. Ist die Klugheit ausgebildet, so gilt wiederum, dass sie ohne die sittlichen Tugenden nicht zu bestehen vermag, wie umgekehrt diese der Führung durch die Klugheit nicht entraten können. 4. Die Klugheit als intellektuelle und als sittliche Tugend. Ihrem Wesen nach ist die Klugheit als recta ratio agibilium eine intellektuelle Tugend, sie vervollkommnet die Vernunft, und zwar die auf das Praktische gerichtete Vernunft, in dem Sinne, daß diese sich richtig verhält hinsichtlich der Mittel zum Ziele (ad hoc, quod convenienter se habeat ad ea, quae sunt ad finem, S. th. 1, 2, q. 57, a. 5), indem sie nämlich diese Mittel richtig erwägt und erwählt. Allein die Klugheit ist nicht lediglich intellektuelle Tugend; die Klugheit ist recta ratio agibilium, ihren Gegenstand bildet also das Gute, genauer gesagt, das Gute unter dem Gesichtspunkt des Guten, nicht nur das bonum materialiter, sondern auch das bonum formaliter (S. th. 2, 2, q. 47, a. 4). Mit dem Guten als solchem hat es der Wille zu tun und demgemäß die eigentliche Tugend, die das Begehren ordnet und die Richtigkeit des Begehrens erheischt, weil sie nicht nur die Befähigung schafft, richtig sich zu betätigen, sondern zugleich den Gebrauch des guten Werkes verursacht (ipsum etiam usum boni operis causat, S. th. 1, 2, q. 61, a. 1); nun schreibt die Klugheit, ausgehend vom Ziele, das Gute vor, indem sie die als richtig und vernunftgemäß festgestellte Erkenntnis auf das Begehren und Handeln anwendet (S. th. 2, 2, q. 47, a. 16), sie ist also, weil sie die Richtigkeit des Begehrens erfordert und bewirkt, zugleich sittliche Tugend. Unter den intellektuellen Tugenden nimmt die Weisheit die erste Stelle ein. Sie vervollkommnet die spekulative Vernunft, ihr Subjekt ist die Vernunft, und zwar, im Unterschied von der Wissenschaft, die ratio superior (S. th. 1, q. 79, a. 9). Ihr Objekt ist die erste Ursache, Gott selbst, ihr Akt ist also die Betrachtung der höchsten Ursache, der göttlichen Dinge, und zwar zunächst secundum perfectum usum rationis: man gelangt dank der Weisheit auf Grund der Untersuchung seitens der Vernunft zum richtigen Urteil über die göttlichen Dinge. Sie befähigt in diesem Sinne das Seiende im allgemeinen, die eigentümliche Wirkung der höchsten Ursache (ens commune, proprius effectus causae altissimae), zu erkennen und über das Wesen des Seienden, über die letzten Begriffe und Prinzipien sowie über die intellektuellen Tugenden zu urteilen. Sie ist daher der ars architectonica zu vergleichen und steht an Rang über den anderen intellektuellen Tugenden. Dies gilt auch gegenüber der Klugheit: die erworbene Tugend der Weisheit bewirkt die Glückseligkeit, zu verstehen natürlich im unvollkommenen Sinne; die Klugheit hat sich daher in den Dienst der Weisheit zu stellen, da die von ihr geleiteten Tugenden nur die Störung durch verwirrende Affekte zu beseitigen und fernzuhalten berufen sind (C. gent. 3,37. S. th. 1, 2, q. 66, a. 5 und ad 4. 2, 2, q. 45, a. 2). Nun kann aber die Tugend der Weisheit noch in einer zweiten Form auftreten, nämlich als eigentliche Tugend im übernatürlichen Sinne, als Gabe des Heiligen Geistes. Als Tugend im übernatürlichen christlichen Sinne befähigt die Weisheit, per quandam connaturalitatem über die letzte Ursache zu urteilen oder per quandam affinitatem (In 3 Sent. d. 35, q. 2, a. 1, qu. 1), vermöge einer Art Wahlverwandtschaft und entsprechender Hinneigung. Zwischen dem, der theoretisch über die göttlichen Dinge und die Dinge des Glaubens urteilt, und dem, der sie beurteilt per quandum connaturalitatem, besteht ein ähnlicher Unterschied wie zwischen dem, der über die Keuschheit richtig urteilt auf Grund rein theoretischer, moraltheologischer Kenntnis, und dem, der den Habitus der Keuschheit besitzt und so über das urteilt, was zur Keuschheit gehört (S. th. 2, 2, q. 45, a. 2). Jener innere Zug hin zu den göttlichen Dingen wird bewirkt durch die Caritas, quae unit mentem hominis Deo (S. th. 2,2, q. 9, a. 2 ad 1). Als übernatürliche Tugend genommen ist demnach die Weisheit zugleich praktisch gerichtet, indem sie vom höchsten Gesichtspunkt aus, also nach den rationes divinae, den göttlichen, vom Glauben gebotenen Normen (S. th. 2, 2, q. 19, a. 7, vgl. Tert., De praescr. haer. 14) das Tun beurteilt und leitet (S. th. 2, 2, q. 45, a. 3). Erste Wirkung der Weisheit ist die kindliche Furcht: timor castus vel filialis est initium sapientiae, sicut primus sapientiae effectus, denn da die Weisheit das menschliche Leben nach den göttlichen Prinzipien regelt, muss man daraus das Grundprinzip entnehmen, dass der Mensch Gott sich in Ehrfurcht unterwerfe (S. th. 2, 2, q. 19, a. 7). Die kostbarste und letzte Wirkung der Weisheit ist der Friede, der alle rebellischen Bewegungen des Herzens niederhält (Matth. 5, 9. S. th. 2, 2, q. 45, a. 6 und ad 3). Signatur www.VIAVERITAS.eu euch schmähen und verfolgen und lügnerisch allerlei Arges wider euch reden um meinetwillen! „Gepriesen sei der Herr durch der Engel Lobgesang“ | |||
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Wesen und Bedeutung der Kardinaltugenden Die Kardinaltugenden werden bereits im Buche der Weisheit (8, 7) aufgezählt, nämlich die sittliche Klugheit, die Gerechtigkeit, die Tapferkeit und die Mäßigung. Der Name Kardinaltugend (virtus cardinalis) findet sich schon bei Ambrosius, und zwar angewandt auf die Gaben des Heiligen Geistes in der Schrift De sacr. 3, 2, 8, und, angewandt auf die vier Kardinaltugenden, in dem Kommentar in Luc. 5, 49, 62. Auch die heidnische Ethik beschäftigt sich viel mit den vier Grundtugenden; Plato leitet sie aus den hauptsächlichen Kräften oder Teilen der Seele her, doch übernimmt er die Tugendreihe der hellenischen Volksanschauung und begründet sie nur philosophisch. Cicero behandelt gleichfalls die Haupttugenden (De invent. 2, 53, vgl. Seneca, Ep. 120, 11), und im Anschluss an ihn dann auf christlicher Seite Ambrosius. Der Name Kardinaltugenden, der »Angeltugenden«, rührt daher, dass sie die Angeln sind, um die sich das Leben in dieser Welt, sofern es dem Vernunftgebot entspricht, bewegt. Grundtugenden heißen sie, weil sie die wichtigsten und schwierigsten sittlichen Objekte zum Gegenstand haben, während den anderen Tugenden die minder schwierigen, untergeordneten Aufgaben zufallen, weshalb sie im Verhältnis zu den Kardinaltugenden als sekundäre Tugenden erscheinen. Vielfach wurden die Kardinaltugenden nach dem Vorgang der Neuplatoniker auch politische oder bürgerliche Tugenden genannt, im Unterschied von den höheren aszetischen und beschaulichen Tugenden, weil nach einem Wort Alberts des Großen jene die Grundlage eines glücklichen Gemeinschaftslebens bilden oder weil sie, nach der Erklärung des heiligen Thomas, bewirken, dass der Mensch sich richtig verhält in rebus humanis gerendis, in Erfüllung seiner irdischen Obliegenheiten (S. th. 1, 2, q. 61, a. 5). Man kann die Kardinaltugenden in doppelter Weise auffassen, entweder im Sinne von allgemeinen Tugenden, von allgemeinen Beschaffenheiten der Seele, von Erfordernissen, die sämtlichen Tugenden gemeinsam sind, so Plato, Cicero, Seneka, so häufig auch Augustinus und desgleichen Gregor d. Gr. Wissenschaftlich richtiger aber ist es, mit Aristoteles und Thomas die Kardinaltugenden als Tugenden mit besonderem Objekt zu betrachten (S. th. 1, 2, q. 61, a 3 und 4), hier erfolgt also die Unterscheidung nicht ex parte rationis, nicht nach dem verschiedenen Verhalten der Vernunft, sondern ex parte obiecti. Die Klugheit ist demgemäß nicht die Lehrerin jeglicher praktischen Erkenntnis, sondern sie hat die Aufgabe, für den praktischen Fall die Vorschrift zu geben, die Gerechtigkeit hat es nicht mit jeder Gleichheit zu tun oder mit Beachtung des Pflichtmäßigen überhaupt, so dass zwischen Sollen und Leisten Gleichheit herrscht, sondern sie gibt jedem, was ihm im strengen Sinne gehört, die Mäßigung hat es nicht mit jeder Lust, sondern nur mit der des sinnlichen Gefühls, mit Geschlechtslust und Gaumenlust zu tun, die Tapferkeit oder der Starkmut betrifft nicht die Unlust überhaupt, sondern nur die Todesschrecken. So wird jeder Grundtugend ein besonderes Objekt zugeteilt, und zwar sind es die sittlich wichtigsten und schwierigsten Objekte, daher treten die anderen Tugenden als sekundäre (virtutes secundariae) regelmäßig in ein Verhältnis der Unterordnung zu den Haupttugenden (virtutes principales), so die Tugenden, die nach dem Vorbild der Mäßigung weniger schwer zu bewältigende Affekte mäßigen, in ein Verhältnis der Abhängigkeit zur Mäßigung, und auf diese Weise erhält jede Kardinaltugend naturgemäß ihr Gefolge von Tugenden. Nimmt man dagegen die Kardinaltugenden als allgemeine Bedingungen oder Seiten jeder Tugend, dann können sie keinen Einteilungsgrund für die Tugenden abgeben, und die Möglichkeit des systematischen Aufbaus der Tugendlehre ist in Frage gestellt. Zudem leitet man die Tugenden und desgleichen die Sünden nicht aus dem verschiedenen Verhalten der Vernunft ab, sondern unterscheidet sie nach dem verschiedenen Objekt (In Eth. 2,7, lectio 8,b.). Was die sittliche Bedeutung der Kardinaltugenden angeht, so ordnen sie positiv als Fundamentaltugenden das gesamte Seelenleben. Die Vernunft selbst wird vervollkommnet durch die Klugheit, der freie Wille durch die Gerechtigkeit, das iraszible Vermögen durch die Tapferkeit, das konkupiszible durch die Mäßigung. Und zwar regeln die Kardinaltugenden sowohl die Handlungen als auch die Affekte, die Gerechtigkeit regelt das richtige Verhalten gegen den Nächsten, bringt also die Handlungen ins richtige Verhältnis zur Vernunft, der Starkmut sichert das Vernunftgebot gegen das, was davon abziehen könnte, nämlich die Furcht vor Gefahr und Mühe, die Mäßigung ordnet die Affekte, die zu unvernünftigem Tun antreiben (S. th. 1,2, q. 61, a. 2). In negativer Hinsicht liegt die Bedeutung der Haupttugenden darin, dass sie, allerdings in erster Linie als übernatürliche Tugenden, die vier Hauptwunden der Seele heilen, die Unwissenheit, die Verkehrtheit des Willens, die Schwäche des ankämpfenden Seelenteils und die Konkupiszenz, das ungeordnete sinnliche Begehren nach den Gütern dieser Welt. Die Bedeutung für das Gemeinschaftsleben wurde bereits hervorgehoben. Die Klugheit Nunmehr sind die einzelnen Kardinaltugenden zu besprechen, vor allem sind sie in Betracht zu ziehen als Haupttugenden, virtutes principales, die eine Reihe anderer Tugenden im Gefolge haben. Das Verhältnis dieser Tugenden zu der Kardinaltugend kann ein Dreifaches sein: sie können erscheinen als partes integrales, als integrierende Bestandteile, sofern nämlich ohne sie der Akt der Haupttugend nicht vollkommen geübt werden kann, als partes subiectivae oder als Unterarten, als partes Potentiales oder als verwandte Tugenden. Wenn hier nochmals von der Klugheit die Rede ist, so wird sie in erster Linie als Kardinaltugend in Betracht gezogen, während sie früher als die alle anderen Moraltugenden leitende Tugend zu behandeln war. Die Klugheit hat die Aufgabe, die einzelnen sittlichen Handlungen auf Grund der einleuchtenden praktischen Prinzipien zu beurteilen und vorzuschreiben. Ihr Subjekt ist die praktische Vernunft, das rationale per essentiam (S. th. 1,2, q. 61, a. 2), ihr Formalobjekt ist das menschliche Handeln unter dem Gesichtspunkt des Guten oder der praktischen Wahrheit. Als integrierende Bestandteile der Klugheit, erforderlich zu ihrem vollkommenen Akt, erscheinen Vorsicht, Umsicht, Gelehrigkeit und andere Teiltugenden (S. th. 2, 2, q. 49). Partes subiectivae oder Arten der Klugheit sind die monastische oder individuelle, die häusliche, die militärische und die politische Klugheit, je nachdem sie auf das Wohl des einzelnen, der Familie, des kämpfenden Heeres oder des öffentlichen Gemeinwesens abzielt. Die überragende politische Klugheit zerfällt wieder in die des Herrschers und die der einzelnen Untertanen, deren Klugheit, wohlgemerkt als solcher, darin besteht, die Anordnungen der rechtmäßigen Gewalt treu auszuführen (S. th. 2, 2, q. 47, a. 11. q. 48, a. 1. q. 50. Leo XIII., Enc. Sap. Christian.). Partes potentiales oder verwandte Tugenden sind Wohlberatenheit, Verständigkeit und Diskretion. Verwandte Tugenden heißen sie, weil sie in irgendeiner Hinsicht mit der Haupttugend zusammentreffen, jedoch nicht in jeder Hinsicht; so macht die Tugend der Wohlberatenheit fähig, in sittlichen Dingen richtig zu überlegen, eben die richtige Überlegung ist ja einer der Akte der Klugheit; ein anderer Akt ist das richtige Urteil in sittlichen Dingen, diesem Akt entspricht die Tugend der Verständigkeit (synesis), die nach den gewöhnlichen Lebensregeln urteilt, sowie die Diskretion (gnome), die besondere Fälle nach besonderen Regeln zu beurteilen weiß; die Diskretion urteilt etwa, dass man unter den vorliegenden außerordentlichen Umständen das Depositum nicht zurückgeben darf, die Ausführung des Urteils oder die Epikie (Aristoteles, Nik. Eth. 6, 10f.) gehört zur legalen Gerechtigkeit (S. th. 2, 2, q. 80, a. un. ad 4 f. S. th. 2, 2, q. 51). Gegensätze zur Klugheit sind die Unklugheit (S. th 2, 2, q. 53, a. 2), der Mangel an Überlegung und Achtsamkeit und ähnliche Fehler, die das Charakteristische haben, dass sie oft als Folge der Unkeuschheit auftreten. Die Unklugheit kann als Sünde im privativen oder im konträren Sinn aufgefasst werden. In diesem Sinn, als Mangel der erforderlichen Klugheit, ist sie eine allgemeine Sünde. Im konträren Sinn aufgefasst, besteht sie in der Verletzung der Regeln der sittlichen Klugheit und ist sie schwere Sünde, wenn es sich um gröbliche Mißachtung der göttlichen Normen handelt. Ferner bildet einen Gegensatz zur Klugheit die prudentia carnis, die fleischliche Klugheit (Röm. 8, 6f.), die einem Scheingut, dem bonum corporis, nachjagt, die Verschlagenheit (astutia), bestehend im Ausdenken schlechter Mittel und Wege, sowie deren Ausführung, erfolgend durch List und Betrug, wovon jene sich des Wortes und der Tat, dieser mehr der Tat bedient; die zuletzt aufgezählten Fehler verbinden sich häufig mit der egoistischen Habsucht (S. th. 2, 2, q. 53ff.). Hierher gehören auch die übertriebene und die ängstliche Sorge für das Zeitliche. Die Gerechtigkeit Die Tugend der Gerechtigkeit erscheint als stetige Geneigtheit, jedem das Seinige zu geben, als habitus, secundum quem aliquis constanti et perpetua voluntate ius suum (vel debitum legale, S. th. 2, 2, q. 89, a. un.) unicuique tribuit (L. 10, Dig. 1, 1. In Eth. 5, 9, lectio 10, c. S. th. 2, 2, q. 58, a. 1). Jene dauernde Geneigtheit schließt in sich, dass man, wie Aristoteles feststellt, das Gerechte tun will, dass man es wirklich tut und dass man es mit gleichbleibend gefestigter Gesinnung tut (In Eth. 5, 1, lectio 1, c). Modifiziert wird die Gesinnung und Haltung der Gerechtigkeit, je nachdem sie als Tugend des Herrschers oder als solche der Untertanen betrachtet wird; der die Gemeinschaft Regierende als solcher hat jedem das Seinige zu geben per modum imperantis et dirigentis, indem er das Gerechte gebietet, der Untertan als solcher per modum executionis, indem er demgemäß handelt und dem andern gibt, was ihm gebührt (S. th. 2, 2, q. 58, a. 1 ad 5). Auszugehen hat man bei Bestimmung des Wesens der Gerechtigkeit, wie bei allen Tugenden, von ihrem Objekt, dem Rechte oder dem, was einem jeden gehört. Recht im objektiven Sinne ist das dem anderen als das Seine Geschuldete, als das Seine ist das anzusehen, was ausschließlich auf den anderen physisch oder moralisch als Mittel hingeordnet ist, so dass der willkürliche Eingriff eine Lädierung seiner Person bedeutet (S. th. 1, q. 21, a. 1 ad 3). Die ratio debiti ist demgemäß obiectum formale der Gerechtigkeit. Im Unterschied vom Recht im objektiven Sinn (debitum legale, iuris) ist Recht im subjektiven Sinn soviel als Befugnis oder moralische Macht, facultas moralis. Leistet man pflichtgemäß, was man zu leisten schuldig ist, so ergibt sich eine Gleichheit, aequalitas, die Gerechtigkeit bedeutet somit, indem sie auf dem Gebiet der Handlungen und der äußeren Dinge im Verkehr Gleichheit bewirkt, ihrer Idee nach eine Gleichheit zwischen zwei Rechtsträgern, während bei der Liebe die Einigung hervortritt. Was diese Gleichheit näherhin angeht, so betrifft sie nicht, wie bei den anderen Moraltugenden, die Affekte, sondern die äußeren Dinge und Handlungen (obiectum materiale); während die Keuschheit, die Mäßigung, überhaupt die Moraltugenden, abgesehen von der Gerechtigkeit, die Affekte ordnen und sie in Einklang mit der Vernunft bringen, also das medium rationis konstituieren, kommt bei der Gerechtigkeit das medium rei, die Mitte der Sache (oder die objektive Gleichheit) in Frage, wobei dieser Ausdruck im weitesten Sinn, eben im Unterschied von medium rationis, zu verstehen ist; und während bei den übrigen Moraltugenden die Handlungen erst sekundär in Betracht kommen, dagegen die Affekte in erster Linie, verhält es sich bei der Gerechtigkeit gerade umgekehrt, die Affekte kommen bei ihr nur in Betracht, sofern sie den Handlungen förderlich oder hinderlich sind. Den Gegenstand der Gerechtigkeit bildet also die äußere Handlung, sofern sie oder die Sache, deren sie sich bedient, das gehörige Verhältnis aufweist zu einer anderen Person, und daher besteht die Mitte der Gerechtigkeit in einer gewissen verhältnismäßigen Gleichheit einer äußeren Sache im Hinblick auf eine Person. Zudem erscheint die Gerechtigkeit (S. th. 2, 2, q. 57, a. 10) nicht als Mitte zwischen zwei Fehlern (In Eth. 5, 1, lectio 1, a. S. th. 2, 2, q. 58, a. 10). Freilich müssen, soll der gerechte Akt wirklich tugendhaft sein, auch die Affekte im Inneren der Seele geordnet sein, es muss also auch die Gleichheit im subjektiven Sinn hergestellt werden, der Akt der Gerechtigkeit wäre mangelhaft, wenn man dem anderen etwa nur gezwungen oder mit der Gesinnung des Geizigen das Seine gäbe, doch ist es Sache der anderen Moraltugenden, diese Affekte zu ordnen, also im angeführten Falle, Sache der Freigebigkeit; sofern nun die Handlung auf den anderen sich bezieht, geht sie auf die Gerechtigkeit, sofern dabei die Affekte vernunftgemäß geregelt sind, auf andere Moraltugenden zurück. Subjekt der Gerechtigkeit ist der freie vernünftige Wille, denn sie ordnet den Menschen im Verhältnis zum anderen, dieses Verhältnis zu anderen aber kann nur die Vernunft regeln, nur sie vermag Ziel und Mittel zu erkennen, nur sie kann daher ordnen, hinordnen, ins Verhältnis bringen, Subjekt der Gerechtigkeit ist demnach der von der Vernunft geleitete Wille (S. th. 2, 2, q. 58, a. 4 und 5 ad 2. 1,2, q. 61, a. 2); dass der Wille durch die Gerechtigkeit geordnet wird, also deren Subjekt ist, ergibt sich schon aus der Definition (vgl. S. th. 1, 2, q. 56, a. 6). Um sich im Sinn der Gerechtigkeit richtig gegen den Nächsten zu verhalten, dazu bedarf es eines besonderen Habitus des geistigen Willens, denn wie es schwierig ist, die rechte Mitte der Vernunft gegenüber den wider die Vernunft kämpf enden Affekten zu finden und durchzusetzen (difficultas ex parte materiae), so kann es schwierig sein, die Mitte der Vernunft selbst zu finden, weil die rechte Mitte im Hinblick auf ein bestimmtes Objekt schwer feststellbar ist (difficultas ex parte rationis, S. th. 2, 2, q. 129, a. 2), und ebendies trifft nicht nur bei den intellektuellen Tugenden, sondern auch bei der Gerechtigkeit zu, noch mehr allerdings dort, wo eine die menschliche Kraft schlechthin übersteigende Betätigung in Frage steht, wie bei der Caritas (S. th. 1, 2, q. 56, a. 6). Bisher war von der Gerechtigkeit im allgemeinen die Rede, nun sind die Arten der Kardinaltugend der Gerechtigkeit in Betracht zu ziehen, an ihrer Spitze steht die legale Gerechtigkeit; dieser, der legalen oder »allgemeinen« Gerechtigkeit, untergeordnet ist die besondere Gerechtigkeit, die ihrerseits wieder zwei Unterarten aufweist. Die legale Gerechtigkeit Zur Gerechtigkeit gehört es, die Mitte zu bestimmen in den Dingen, die sich »auf den andern« beziehen; diese letzte Wendung ist ganz allgemein zu nehmen, es kommt dabei keineswegs nur die Beziehung zum anderen als Einzelperson oder als Mitglied derselben Gemeinschaft in Betracht, sondern eingeschlossen ist auch die Beziehung zur Gemeinschaft (S. th. 2, 2, q. 79, a. 1), und diese Art Gerechtigkeit ist die vornehmste Erscheinungsform der Tugend der Gerechtigkeit, es ist die legale Gerechtigkeit, von Thomas auch iustitia generalis genannt. Sie bewirkt, dass der Mensch das der Gemeinschaft und Gott geschuldete Gute tue und das entgegengesetzte Böse meide (S. th. 2, 2, q. 79, a. 1). Die legale Gerechtigkeit setzt also das Verhalten zum Gemeinwohl in Beziehung, vermöge der Gerechtigkeit in diesem Sinne harmoniert der Mensch mit dem Gesetze, das Akte aller Tugenden auf das Gemeinwohl hinordnet, per eam concordat homo legi ordinanti actus omnium virtutum in bonum commune (S. th. 2, 2, q. 58, a. 5. Gemeinwohlgerechtigkeit). Man kann unter dem erwähnten Gesetz das göttliche, das kirchliche wie auch das staatliche verstehen; denkt man an das erste, so kommen alle Akte der Tugenden in Betracht (S. th. 1,2, q. 100, a. 2. Hinsichtlich des natürlichen Sittengesetzes vgl. q. 94, a. .3), denkt man an das letzte, und davon ist zunächst in diesem Zusammenhang die Rede, so kommen zwar Akte aller Tugenden, aber nicht alle Akte dieser Tugenden in Frage. Das Gesetz schreibt nach Aristoteles vor, sowohl die Werke des Mutigen zu verrichten, z. B. seinen Posten nicht zu verlassen, als auch die Werke des Mäßigen, des Keuschen, z. B. nicht Ehebruch zu treiben, und die des Sanftmütigen, nämlich den andern nicht zu beschimpfen, nicht an Gesundheit und Leben ihn zu schädigen. Ähnlich führt Chrysostomus im Anschluss an das Wort des Apostels, der die Obrigkeit Gottes Dienerin nennt (Röm. 13, 4), aus: »Man sehe nur, ich gebe den Rat, dass man sich der Mäßigkeit befleißige, und die Obrigkeit will in ihren Gesetzen dasselbe; ich ermahne, dass man sich des Geizes und ungerechten Gelderwerbes enthalte, und sie sitzt über Vergehen dieser Art zu Gericht.« Das staatliche Gesetz schreibt die Handlungen vor, die mit Rücksicht auf das Gemeinwohl, zur Erhaltung des Ganzen, vorzuschreiben sind, und verbietet, was das Gemeinwohl erheblich schädigt und den friedlichen Bestand des Ganzen gefährdet; ebendieser Zweck bringt es mit sich, dass das staatliche Gesetz mit Rücksicht auf das Gemeinwohl manches hingehen lassen muss, was durch das ewige Gesetz bestraft wird, das menschliche Gesetz muss mitunter so verfahren, um nicht noch größeres Unheil heraufzubeschwören. Die legale Gerechtigkeit ist eine Tugend mit einem besonderen Objekt, also ist sie eine spezielle Tugend, allerdings kann man sie auch in bestimmter Hinsicht als allgemeine Tugend auffassen; sie ist eine spezielle Tugend, sofern sie Akte aller Tugenden, die für das Gemeinwohl nötig sind, voran die der kommutativen Gerechtigkeit, eben auf das Gemeinwohl hinordnet, eine allgemeine Tugend dagegen ist sie ihrer Wirksamkeit nach, weil sie eine Reihe von Tugenden gebietet. In dieser Hinsicht verhält es sich mit der Gerechtigkeit wie mit der Caritas; die Caritas ist zweifellos eine spezielle Tugend, weil sie ein ihr eigentümliches Objekt aufweist, ist sie doch die Liebe Gottes als Gegenstandes der ewigen Seligkeit, die Caritas ist aber zugleich eine allgemeine Tugend, nämlich der Wirksamkeit nach, denn sie gebietet die Akte aller erforderlichen Tugenden und bezieht sie auf das letzte Ziel. Die legale Gerechtigkeit ist, wie Thomas, Aristoteles folgend, sagt, im Herrscher primär und in maßgebender Weise, architectonice, im Untertanen (als solchem) sekundär und in dienender Weise (quasi administrative, S. th. 2, 2, q. 58, a. 6). Formaliter ist Gegensatz zur legalen Gerechtigkeit die Missachtung des Gemeinwohles, materialiter jede Gesetzesübertretung. Einen noch weiteren Begriff der legalen Gerechtigkeit erhält man, wenn man sie als Inbegriff der auf das Gemeinwohl hingeordneten Tugenden selbst nimmt, ähnlich wie der Apostel von der Caritas sagt, die Caritas ist langmütig, ist gütig, ist nicht ehrsüchtig usw. (I Kor. 13, 4 f.), alsdann erscheint die legale Gerechtigkeit ihrem Wesen nach als identisch mit der gesamten Tugend, nur dass der Gesichtspunkt ein verschiedener ist; denn bei der legalen Gerechtigkeit kommt die Tugend in Betracht, sofern sie sich auf den andern bezieht (In Eth. 5, 3, lectio 2, h. S. th. 2,2, q. 58, a. 6). Nicht zu trennen von der legalen ist die soziale Gerechtigkeit. Sie bezieht sich auf das wirtschaftliche und soziale Gebiet und fordert z. B., indem sie das Verhalten mit dem Gemeinwohl in Einklang bringt, ein angemessenes Verhältnis der Glieder zueinander, sie fordert Bezahlung des ausreichenden Familienlohnes, sie schreibt vor, nach Möglichkeit geordnete wirtschaftliche und soziale Verhältnisse zu schaffen und zu erhalten, damit jener Forderung genügt werden kann, sie verwehrt die Verkürzung der Arbeiterschaft bei Verteilung des Sozialproduktes usw. Die soziale Gerechtigkeit zielt also auf Herbeiführung und Sicherung der von Gott gewollten Ordnung und Gliederung der Gesellschaft im Staate ab. Sie ist demgemäß dem Wesen nach identisch mit der legalen Gerechtigkeit und näherhin ein Teil der legalen Gerechtigkeit, sofern deren natürliche Normen in Betracht kommen. Von der eben charakterisierten sozialen Gerechtigkeit ist die das internationale Leben regelnde soziale Gerechtigkeit zu unterscheiden, sie gebietet z. B. eine dem Gemeinwohl der Völker entsprechende Verteilung der Güter und Rohstoffe. Da die Beziehungen der Völker ebenfalls im Hinblick auf das Gemeinwohl der Menschheit durch Gesetze geregelt oder noch zu regeln sind, gibt es auch hier eine legale Gerechtigkeit, analog jener im einzelnen Staat. Die iustitia communis weist also zwei Arten von legaler Gerechtigkeit auf, da das Gemeinwohl des einzelnen Staates mit dem Menschheitswohl nicht identisch, vielmehr ihm untergeordnet ist. Das Verhältnis von legaler und sozialer Gerechtigkeit auf internationalem Gebiet ist analog zu bestimmen wie auf dem staatlichen. Die besondere Gerechtigkeit Die besondere oder partikuläre Gerechtigkeit hat im Verkehr der Menschen, wobei die äußeren Handlungen und die äußeren Dinge in Betracht kommen, genauer gesagt in distributionibus et commutationibus, in den Verteilungen und im Tauschverkehr, zur Wahrung des Einzelwohls die Mitte oder die Gleichheit zu beachten. Die besondere Gerechtigkeit bezieht sich nämlich auf die physische oder moralische Einzelperson als solche oder als Glied der Gemeinschaft, und sie unterscheidet sich dadurch wesentlich von der legalen Gerechtigkeit, denn das Gemeinwohl stellt keineswegs nur die Summe des Einzelwohles der Mitglieder dar, sondern erscheint als etwas Eigenartiges, Gemeinwohl und Einzelwohl unterscheiden sich nicht lediglich secundum multum et paucum, nicht nur nach der Zahl, sondern es besteht zwischen ihnen eine wesentliche Verschiedenheit (secundum formalem differentiam; In Pol. 1, 1, lectio 1, c. S. th. 2, 2, q. 58, a. 7 und ad 2. a. 8. a. 11). Die beiden Unterarten der besonderen Gerechtigkeit sind die kommutative oder ausgleichende und die distributive oder austeilende Gerechtigkeit. Die kommutative Gerechtigkeit, so genannt nach dem Tauschverkehr, den sie beherrschen soll, besteht darin, dass dem Nächsten das ihm strikt Gehörige gegeben wird, sie bezieht sich auf den Verkehr der Einzelpersonen als solcher und heißt deshalb auch individuelle Gerechtigkeit. Der kommutativen Gerechtigkeit entspricht das Recht im strengsten Sinne, was darin zum Ausdruck kommt, dass ihre Verletzung die Pflicht der Restitution nach sich zieht, da, solange der Schaden nicht ausgeglichen ist, die ihr wesentliche Gleichheit nicht besteht. Recht im strengen oder im eigentlichen Sinn ist auch das der legalen und der distributiven Gerechtigkeit (doch kann z. B. bei Ämtern und Ehrenstellen nur von einem angemessenen Recht die Rede sein) entsprechende Recht, aber hier besteht bei Verletzung die Restitutionspflicht nicht. Zu unterscheiden von dem Recht im striktesten und im strengen oder eigentlichen Sinn ist das Recht im nicht strikten Sinn; so kann man sagen, die Notleidenden haben ein »gewisses« Recht auf Unterstützung, während die Armen, für die, im allgemeinen, eine Summe testamentarisch bestimmt wurde, ein Recht im Sinn der distributiven Gerechtigkeit haben; nicht im Sinn der kommutativen, weil der einzelne nicht einen bestimmten Betrag als das Seine beanspruchen kann. Ein Recht im striktesten Sinn ist nur gegeben, wenn es sowohl in sich, als auch, was die Person betrifft, genau umschrieben ist. Die distributive Gerechtigkeit zielt darauf ab, die allgemeinen Lasten und die allgemeinen Güter, wie Würden und die Rechte, richtig ratione boni communis auf die einzelnen Mitglieder zu verteilen; sie ist vornehmlich im Herrscher, in den Untertanen insofern, als sie mit der Austeilung zufrieden sind (S. th. 2, 2, q. 61, a. 1 ad 3). So hat die Arbeiterschaft einen Anspruch darauf, dass ihr entsprechend ihrer Leistung für das Gemeinwohl auch ein angemessener Schutz seitens des Staates zuteil werde. Übrigens kann der Begriff der distributiven Gerechtigkeit analog auch etwa auf die Familie angewendet werden (S. th. 2, 2, q. 61, a. 1 ad 3), wobei freilich beachtet werden muss, dass das Kind als solches »Teil des Vaters« ist. Kommutative und distributive Gerechtigkeit unterscheiden sich besonders nach Gegenstand, Maßstab der Zuteilung und sozialer Wirkung. Nach ihrem Gegenstand unterscheiden sie sich wesentlich, weil bei der distributiven Gerechtigkeit das Auszuteilende nur in gewissem Sinne dem Betreffenden »gehört«, nämlich als Glied, denn in anderer Weise wird jemandem geschuldet, was gemeinsam ist, und in anderer Weise, was schlechthin Eigentum ist (diversa ratio debiti, S. th. 2, 2, q. 61, a. 1 ad 5). Während sodann bei der distributiven Gerechtigkeit der einzelne als Untergebener dem Leiter der Gemeinschaft gegenübersteht, der im Interesse des Gemeinwohles zu handeln hat, treten bei der kommutativen Gerechtigkeit zwei koordinierte Rechtssubjekte einander gegenüber; es ist also eine Verschiedenheit festzustellen im Hinblick auf das, was hier und dort gegeben wird, im Hinblick auf den, der es gibt, und auf den, dem gegeben wird. Was den Maßstab der Zuteilung betrifft, so erfolgt diese bei der distributiven Gerechtigkeit im Sinne der verhältnismäßigen, bei der kommutativen Gerechtigkeit im Sinne der arithmetischen Gleichheit; die distributive Gleichheit nämlich hat in Betracht zu ziehen, was dem einen Glied im Verhältnis zum anderen nach Würdigkeit oder nach Leistungsfähigkeit von den gemeinsamen Gütern oder Lasten zukommt oder auch einem jeden zukommt im Verhältnis zu der auszuteilenden Sache, die komutative Gerechtigkeit dagegen hat zwischen dem, was geschuldet und gegeben wird, zwischen dem datum und acceptum die absolute Gleichheit herzustellen, ohne dass zwischen Person und Person ein Unterschied gemacht würde (S. th. 2, 2, q. 61, a. 2 und a. 4 ad 2). Man könnte hier im Hinblick darauf, dass es sich bei der distributiven Gerechtigkeit um die allgemeinen Güter handelt, das Gemeinsame aber zur legalen Gerechtigkeit gehört, einwenden, dass die distributive Gerechtigkeit nicht eine Art der besonderen, sondern der legalen Gerechtigkeit sei; allein wie bei der Bewegung der Endpunkt (terminus) entscheidend ist, ähnlich hier: die legale Gerechtigkeit regelt die Beziehungen der einzelnen zum Gemeinwohl, die distributive Gerechtigkeit umgekehrt die Beziehung des Gemeinwohles zu den einzelnen (S. th. 2, 2, q. 61, a. 1 ad 4). In sozialer Hinsicht schließlich bringt die distributive Gerechtigkeit und desgleichen und vor allem die legale Gerechtigkeit den sozialen Gedanken zur Geltung, während die kommutative Gerechtigkeit, wie aus dem Dargelegten hervorgeht, zunächst das Einzelinteresse betont. Insbesondere hat die soziale Gerechtigkeit die kommutative in sozialer Hinsicht zu ergänzen. Die gerechte Wiedervergeltung, das contrapassum, gehört ihrem Wesen nach zur kommutativen Gerechtigkeit. Man versteht darunter die gerechte Ausgleichung von Tun und Leiden etwa bei der strafenden Tätigkeit des Richters, sowie die gerechte Ausgleichung im wirtschaftlichen Verkehr, z. B. im Verkehr von Handwerker und Landmann, eine wichtige Idee, wenn es gilt, das Problem des gerechten Preises und Lohnes zu lösen (S.th. 2, 2, q. 61, a. 4. In Eth. 5, 8, lectio 8). Allerdings ergibt sich eine gewisse Schwierigkeit, wenn man die gerechte Wiedervergeltung zur kommutativen Gerechtigkeit rechnet; der Richter hat, um ein Beispiel anzuführen, den Beleidiger um so strenger zu bestrafen, je höher die beleidigte Person steht, er muss also, wie es scheint, nach verhältnismäßiger Gleichheit entscheiden, oder, wenn Landmann und Handwerker in Tauschverkehr treten, so werden die Produkte nicht einfach nach gleicher Zahl oder Quantität getauscht, vielmehr muss durch eine Proportion zunächst das richtige qualitative Verhältnis festgestellt werden; das ist richtig, aber all das geschieht nur, um eine recompensatio secundum aequalitatem, um eine Vergeltung nach arithmetischer Gleichheit zu erzielen, jene Proportion ist lediglich Mittel zum Zweck, ist nur eine Zwischenstufe, zuletzt kommt die Formel a=b, Strafe gleich Verbrechen, Wert des Produktes des einen gleich Wert der Gegenleistung des andern, zur Anwendung; dies ist das Ziel, der terminus, also entscheidend für Einreihung der gerechten Wiedervergeltung. Gehört so auch die strafende oder vindikative Tätigkeit des Richters im Wesentlichen zur kommutativen Gerechtigkeit, so kann man sie gleichwohl insofern zur legalen Gerechtigkeit rechnen, als der richterliche Akt das Gemeinwohl schützt, und zur austeilenden Gerechtigkeit, sofern der Richter bei Bestrafung mehrerer die Schuld nach Verdienst ahndet, würde er persönliche Momente entscheiden lassen, so wäre dies ein Ansehen der Person, personarum acceptio, der Gegensatz zur distributiven Gerechtigkeit; sofern der Richter bei Verhängung der Strafe seine Amtspflicht erfüllt, die er auf Grund seines Anstellungsvertrages gemäß der kommutativen Gerechtigkeit erfüllen muß, kommt wieder die ausgleichende Gerechtigkeit zur Geltung (S. th. 2, 2, q. 61, a. 4 ad 2. q. 80, a. un. ad 1. q. 106, a. 1 ad 2. q. 108, a. 2 ad 1). Von der politischen oder bürgerlichen Gerechtigkeit unterscheidet Thomas mit Aristoteles die ökonomische oder häusliche Gerechtigkeit, die sich auf das Verhältnis von Mann und Frau, von Vater und Kind, von Herrschaft und Dienstboten bezieht. Das Recht im vollen Sinn besteht zwischen zwei Rechtsträgern, die unabhängig voneinander sind und demselben Staatsoberhaupt unterstehen. Zwischen dem Vater und dem Kind dagegen, das dem Vater zugehört, kann nicht jenes Recht im vollen Sinn, sondern nur ein Recht in eingeschränktem Sinn bestehen, das Kind ist ja als Kind dem Vater gegenüber kein koordiniertes Rechtssubjekt. Eher kann noch im Verhältnis von Mann und Frau von Recht im vollen Sinne die Rede sein, weil die Frau doch dem Manne selbständiger gegenübersteht, als das Kind; gleichwohl herrscht auch zwischen ihnen das häusliche Recht, weil beide zur häuslichen Gemeinschaft unmittelbare Beziehung haben. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, als ob hier eine Rechtsverletzung stets leichter zu beurteilen wäre; z. B. Körperverletzung und Tötung wären im Gegenteil strenger zu beurteilen, so wie der Selbstmord, an sich betrachtet, strenger zu beurteilen ist als der Mord (Verletzung der Einheit im Unterschied von der Verletzung der unio, S. th. 2, 2, q. 57, a. 4; vgl. Caietan., Comm. in q. 57, a. 4). Dass nach heutiger Auffassung auch die Dienstboten mit größerer Selbständigkeit der Herrschaft gegenüberstehen und darum eher, als früher Sklave und Leibeigene, wirkliche Rechte in vollem Sinne haben können, braucht kaum festgestellt zu werden. Die Frage, ob es nun überhaupt zwischen den Eltern und Kindern keine strenge Rechtspflichten gebe, ist zu verneinen. Thomas selbst deutet die richtige Lösung an, wenn er zwischen dem Kind als Kind und als Person, dem Sklaven als Sklaven und als Person unterscheidet (S. th. 2, 2, q. 57, a. 4 ad 2); die strenge Rechtspflicht., den Nächsten nicht an Leib und Leben zu schädigen, besteht auch hier, dagegen sind Pflichten, die speziell durch das väterliche Verhältnis oder durch das Kindes Verhältnis begründet sind, Pietätspflichten. Und wiederum deutet Thomas selbst an, dass zwischen Mann und Frau eher strenge Rechtspflichten bestehen können; eine Ausgestaltung des Verhältnisses im Sinne größerer Selbständigkeit der Frau, verglichen mit früherer Abhängigkeit, kann nicht missbilligt werden, wenn nur die christliche Grundanschauung (vgl. Eph. 5, 22 ff.) unangetastet bleibt. Auch Kinder und Minderjährige können daher Eigentumsrechte besitzen, wenn auch durch positives Gesetz zu beschränkende und beschränkte (vgl. BGB §§ 1617 ff. 1649ff.). Minderjährige, die daheim arbeiten, haben keinen strikten Anspruch auf Lohn für gewöhnliche Mitarbeit, geschuldet aus Pietät, anders bei außerordentlicher Arbeit. Volljährige Kinder, die zu Hause arbeiten, haben gleich fremden Kräften ein striktes Recht auf Vergütung, abzüglich der Unterhaltskosten. Minderjährige, die auswärts sozusagen in eigenem Namen arbeiten, erwerben für sich, je nachdem haben sie die Unterhaltskosten zu ersetzen. Geld, das die Eltern den Kindern zu bestimmtem Zweck geben, anders zu verwenden, wäre ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit. Der Gerechtigkeit verwandte Tugenden (S. th. 2, 2, q. un.) Der Gerechtigkeit annex oder verwandt sind solche Tugenden, die mit der Haupttugend in einer wesentlichen Beziehung zusammentreffen, aber nicht in allen wesentlichen Beziehungen. Zur Gerechtigkeit gehören zwei Merkmale, die ratio debiti und die ratio aequalis, die Gerechtigkeit legt eine strenge Rechtspflicht auf, das debitum legale, und überdies erscheint sie ihrem Wesen zufolge als Gleichheit, es muss Gleichheit zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen. Weist nun eine andere Tugend eines dieser Momente auf, so ist sie der Gerechtigkeit annex. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Tugenden, bei denen die ratio aequalis zutrifft wie bei der Gerechtigkeit, ohne dass sie aber die ratio debiti legalis mit ihr gemeinsam hätten, vielmehr ist für sie charakteristisch das debitum morale, die sittliche, nicht rechtliche Verpflichtung, wobei die Vernunftregel (regula rationis), nicht die Gesetzesnorm entscheidet (S. th. 2, 2, q. 118, a. 3 ad ). Und wieder andere Tugenden teilen mit der Gerechtigkeit die ratio debiti, bleiben aber hinsichtlich der ratio aequalis hinter ihr zurück. Ratione debiti legalis treffen mit der Gerechtigkeit zusammen die Religiosität oder die Tugend der Gottesverehrung, die Pietät gegen Eltern und Vaterland, sowie die Ehrerbietung gegen solche Personen, die in Amt und Würden stehen. Diese »observantia« ist in der Pietät enthalten und widmet dem Hochgestellten um seiner Stellung willen auszeichnende Achtung und Ehre; wird diese Achtung erwiesen, weil der Betreffende nähere Beziehung hat zum Gemeinwohl (ordinatur ad bonum commune), so kommt die pietas in Frage (S. th. 2, 2, q. 192, a. 3 ad 1). Einen Teil der observantia bildet die dulia, die Tugend der Unterwerfung oder der Dienstbarkeit, die geneigt macht, Vorgesetzten Ehre und schuldigen Dienst zu erweisen. Entscheidet bei dem Ehrenerweis die Rücksicht auf das Gemeinwohl, so handelt es sich um die Tugend der Pietät, die man ja auch dem Vaterland schuldet, sofern nämlich die betreffenden Personen eine der väterlichen analoge Stellung einnehmen: tritt der Gesichtspunkt der persönlichen Ehre und Auszeichnung hervor, z. B. bei Personen in Amt und Würde, denen man nicht unterstellt ist, so ergibt sich die eigentliche observantia (S. th. 2, 2, q. 102ff.). Formalobjekt der observantia gegenüber den Eltern bildet der Gedanke, dass den Eltern als Gottes Stellvertretern Ehre gebührt, das Motiv ist die Tatsache, dass sie die Kinder zu leiten haben, bei den Kindern ist die observantia in der Pietät enthalten, weil diese das Formalobjekt jener in gesteigertem Maße in sich birgt. Verwandt wieder mit diesen Tugenden ist der Gehorsam, ein Teil der Gerechtigkeit, denn dabei wird dem Vorgesetzten als solchem geleistet, was ihm gebührt (S. th. 2, 2, q. 4, a. 7 ad 3. q. 104, a. 2 ad 2). Religiosität, Pietät und Ehrerbietung gegen die personae in dignitate constitutae bleiben hinter der Haupttugend insofern zurück, weil hier von einer Vergeltung der Wohltaten im Sinne eigentlicher Gleichheit nicht die Rede sein kann. Wieder andere Tugenden treffen mit der Gerechtigkeit ratione aequalis zusammen, bleiben aber hinter ihr ratione debiti legalis zurück, sofern bei ihnen statt dessen das debitum morale hervortritt, also eine sittliche Verpflichtung lediglich vor Gott und Gewissen, und nicht eine strenge Rechtspflicht. Eine sittliche Pflicht kann bei den verschiedenen Tugenden dieser Art in doppeltem Sinne vorliegen, erstens in der Weise, dass ohne Beachtung der betreffenden Pflicht die sittliche Ordnung sich nicht aufrechterhalten ließe, zweitens in dem Sinne, dass die Verletzung der Pflicht mehr nur eine Ungehörigkeit darstellt. Zur ersten Kategorie von Tugenden gehören Wahrhaftigkeit und Dankbarkeit, hier schuldet man ja dem anderen nicht das Seine, dort fehlt der bestimmte Rechtsträger, ferner die Tugend der gerechten Ahndung, eine private Tugend, zu unterscheiden von der strafenden Tätigkeit des Richters, verwandt mit ihr ist die Tugend der Buße. Zur zweiten Kategorie von Tugenden gehören die Freigebigkeit, die Freundlichkeit im Verkehr (amicitia vel affabilitas, gegensätzlich Schmeichelei und Morosität), sowie die Billigkeit oder die Epikie. Die Tugend der Billigkeit kann man jedoch in zweifachem Sinne nehmen, man kann die Tugend der Epikie auffassen entweder im Sinne der Geneigtheit, sich statt nach dem Wortlaut des Gesetzes in außerordentlichen Fällen nach der Absicht des Gesetzgebers zu richten (Arist., Nik. Eth, 6,11), oder man kann sie im Sinne der Geneigtheit verstehen, den strengen Rechtsanspruch schonend zu ermäßigen, etwa beim Verkauf eines Gegenstandes an den Armen: so aufgefasst, ist sie eine der Gerechtigkeit verwandte Tugend. In jenem ersteren Sinn genommen ist die Billigkeit pars subiectiva der Gerechtigkeit und quasi superior regula humanorum actuum, sie geht daher sogar der legalen Gerechtigkeit voran, wenigstens sofern diese geneigt macht, nach dem Wortlaut des Gesetzes zu handeln; sofern die legale Gerechtigkeit zugleich geneigt macht, nach dem Sinn des Gesetzgebers zu handeln, gehört die Billigkeit zur legalen Gerechtigkeit und stellt deren vornehmsten Teil dar (S. th. 2, 2, q. 120, a. 2 u. ad 1). Der Starkmut Ein Teil der sinnlichen Affekte, zumal die Furcht, ist geeignet, angesichts von Schrecknissen und Mühen, besonders aber der Todesschrecken, vom Vernunftgebot abzuziehen; hier gilt es, den Willen zu festigen, die Vernunft hat die richtige Mitte hier »impellendo« zu finden (De malo q. 2, a. 6), indem sie den Willen bestärkt und antreibt. Formalobjekt ist das Geziemende, das darin liegt, dass die Seele starkmütig jene Schwierigkeit überwindet. Folgerichtig (S. th. 2, 2, q. 141, a. 3) gehört zu jenen Affekten aber auch die audacia, die Kühnheit, die der Gefahr trotzt und ihr entgegengeht mit der Hoffnung auf irgendein Gut (sub spe alicuius boni, S. th. 2, 2, q. 141, a. 3), denn es kommt dasselbe Motiv in Frage, ob es sich darum handelt, die Kühnheit zu zügeln, oder darum, die Seele gegen die Furcht zu festigen: in beiden Fällen soll man nämlich die rechte Mitte einhalten und das bonum rationis, das Gut der Vernunft, den Todesschrecken überordnen (vgl. S. th. 1, 2, a. 60, a. 4). Angesichts der Todesschrecken hat die Tapferkeit das Strebevermögen zu festigen, sie regelt den irasziblen Seelenteil und bringt ihn in die richtige Verfassung, indem sie dessen Affekte ordnet, die Kühnheit zügelt und die Furcht bezähmt; die Kühnheit würde ohne die Zügelung der Vernunft zur Tollkühnheit werden, die mehr zu schaden als zu nützen pflegt, und die unbeherrschte Furcht würde dazu verleiten, dem Vernunftgebot untreu zu werden. Ist das Übel hereingebrochen, so überwindet der Tapfere die Trauer und den körperlichen Schmerz und zieht die Tugend dem leiblichen Leben vor; auch hier gilt, daß die Betätigung des Habitus mit Befriedigung verbunden ist, wenngleich die Schmerzen das Gefühl der Freude nicht aufkommen lassen (S. th. 2, 2, q. 123, a. 8). Nicht richtig wäre die Vorstellung, als würde durch den Starkmut jegliche Furcht ausgeschlossen, sonst müsste dies ja auch von der Furcht Gottes gelten, vielmehr wird lediglich ausgeschlossen die ungeordnete Furcht oder deutlicher jegliches Abgehen vom Vernunftgebot um ihretwillen. Ganz zutreffend rühmt deshalb Aristoteles (Nik. Eth. 3, 10) vom Starkmütigen, dass er leidet und handelt, wie es sich gebührt und die Vernunft vorschreibt (sustinere — aggredi). Subjekt der Tapferkeit ist also der iraszible Teil des Begehrungsvermögens. Das Objekt bilden die Furcht, die Kühnheit und dann die zu mäßigende Trauer über das hereingebrochene Übel, zugleich und in erster Linie allerdings Objekt der Geduld. Integrierende Teile der Haupttugend sind die den beiden wesentlichen Akten der Tapferkeit, dem Leiden und dem mutigen Angreifen, entsprechende passive und aktive Tapferkeit, näherhin die Geduld und Ausdauer, sowie die Hochherzigkeit, die hohe Tatkraft und die Entschlossenheit, und all das angesichts der Todesgefahr (S.th. 2, 2, q. 128, a. un.). Voranzustellen ist die heroische Geduld, nicht der tatkräftige Todesmut, die passive Tapferkeit ist die Hauptforderung, dies hängt mit der größeren Schwierigkeit zusammen, die wegen der Dauer dem Leiden anzuhaften pflegt, dann auch damit, dass es schwieriger ist, ein gegenwärtiges Übel zu ertragen, als einem erst drohenden die Stirne zu bieten, abgesehen davon, dass der mutig Angreifende als der Überlegene sich fühlt (S. th. 2,2, q. 123, a. 6 ad 1). Irgendwelche Unterarten weist die Tapferkeit nicht auf. Dies erklärt sich leicht, wenn man bedenkt, dass sie eine ganz spezielle Tugend ist, die auf die Todesschrecken sich bezieht (S. th. 2, 2, q. 128, a. un.). Als verwandte Tugenden erscheinen vom Gesichtspunkt des sustinere aus die Geduld gegenüber der Trauer überhaupt oder die Ertragung von gegenwärtigen Übeln ohne ungeordnete Trauer (Sir. 14, 2, 30, 25), eine Tugend, von der das Wort Cyprians gilt: bona custodit, repellit adversa; ihre Stufen sind das Ertragen von Leiden ohne Murren, das Ertragen von Leid ohne Klage bei anderen, das Ertragen von Leid mit Freude. Ferner die Langmut, die gleich der Geduld die Trauer erträgt, aber im Hinblick auf ein fernes Gut (S. th. 2, 2, q. 136, a. 5). Sodann die Standhaftigkeit, die ungeachtet jeder begegnenden äußeren Schwierigkeit festbleibt, und der im Vergleich mit der eben genannten Tugend vorzüglichere Teil der Tapferkeit, die Beharrlichkeit, die trotz der Beschwernisse, die aus der fortgesetzten Tugendübung entspringen, unerschütterlich dabei beharrt (S. th. 2,2, q. 137, a. 3). Alle diese Tugenden sind mit der Haupttugend, wie ohne weiteres erkennbar ist, verwandt; sie treffen damit in einer wesentlichen Beziehung zusammen, bleiben jedoch hinter ihr insofern zurück, als sie ein weniger schwieriges Objekt haben; während es sich bei der Kardinaltugend um die Todesschrecken handelt, kommen hier die gewöhnlichen Schwierigkeiten des Lebens in Betracht. Ähnliches gilt von den beiden weiteren Tugenden, die sich vom Gesichtspunkt des aggredi aus ergeben, von der Tugend der Hochherzigkeit, verbunden mit Vertrauen und starker Zuversicht und furchtloser Seelenruhe, und von der Tugend der Generosität (magnificentia); jene ist auf alles Hohe gerichtet, das größter Ehre wert ist, diese bestehend in der Mäßigung der Geldliebe als Hindernisses großer Unternehmungen und Leistungen, besonders zur Ehre Gottes und im Dienste des Gemeinwohles (S. th. 2, 2, q. 129). Wie alle sittlichen Tugenden kann auch die Tapferkeit als übernatürliche Tugend betrachtet werden. Auf übernatürlichem Gebiete entspricht der Tugend der Tapferkeit und ist stets damit verbunden das donum fortitudinis, die Gabe der Tapferkeit, mit der Zuversicht, jeder Gefahr zu entgehen und die Vollendung eines jeden begonnenen Tugendwerkes zu erreichen und so zum letzten Ziele glücklich zu gelangen (S. th. 1,2, q. 68, a. 4. 2,2, q. 139, a. 1). Und von den Seligkeiten entspricht der Tapferkeit die vierte Seligpreisung (Matth. 5, 6): »Selig, die nach der Gerechtigkeit Hunger und Durst haben«; denn es ist besonders schwierig, nicht nur nach der Gerechtigkeit zu leben, sondern sie sogar mit unstillbarer Sehnsucht zu üben. Als Früchte der Tapferkeit sind Geduld und Langmut zu nennen. Den Höhepunkt der Tapferkeit bildet das Martyrium; wiewohl es jedoch an sich actus elicitus der Tapferkeit ist, kann es auch aus anderen Motiven, etwa aus Gehorsam gegen Gott, übernommen werden. Gegensätze der Tapferkeit sind außer der aus Hochmut oder Geringschätzung des Lebens hervorgehenden ungeordneten Furchtlosigkeit die Furchtsamkeit und Feigheit (S. th. 2, 2, q. 125, a. 2), beide wenig verschieden voneinander, sofern jene der Furcht zu sehr nachgibt, diese an Wagemut es fehlen lässt, anderseits dann wieder die Tollkühnheit (S. th. 2, 2, q. 127), Fehler, zu beurteilen nach den daraus sich ergebenden Sünden. Dazu kommt als Gegensatz der perseverantia die Weichlichkeit (mollities) oder Unbeständigkeit (S. th. 2, 2, q. 138, a. 1). Gegensätze speziell der Hochherzigkeit sind Anmaßung, Ehrgeiz und eitle Ruhmsucht. Die Mäßigung Andere Affekte sind geeignet, den Menschen zu widervernünftigem Handeln zu verleiten, sofern sie ihm ein lockendes sinnliches Scheingut darbieten, nämlich die Gefühle sinnlicher Lust, wie sie dem Tastsinn eigentümlich sind, es handelt sich dabei um die delectationes gustus et tactus, die zur Erhaltung des Lebens gehören (S. th. 2, 2, q. 141, a. 4 ad 5) und infolge der gestörten Harmonie der menschlichen Natur dem Menschen leicht zur Versuchung gereichen (In Eth. 3, 13, lectio 19). Diese Gefühle sinnlicher Lust werden in die rechten Schranken zurückgewiesen durch die Mäßigung, wodurch die richtige Verfassung des konkupisziblen Teils des Begehrungsvermögens bewirkt wird (S. th. 1, 2, q. 61, a. 2). Hier hat die Vernunft demgemäß die Aufgabe, das Zuviel zurückzudämmen, sie hat die Mitte zu finden »refrenando vel retrahendo« (De malo q. 2, a. 6), während es bei der Tapferkeit gilt, das Zuwenig infolge von Furcht und von Scheu gegen körperliche Mühen durch Aneiferung des Willens auszugleichen. Objekt der Mäßigung ist nach dem Dargelegten die sinnliche Lust, folgerichtig aber auch die Verstimmung beim Fehlen der begehrten Lust (S. th. 2, 2, q. 141, a. 3). Näherhin bilden ihren Gegenstand die Begierden nach den größten sinnlichen Lüsten, concupiscentiae maximarum delectationum, nämlich Geschlechtslust und Gaumenlust. Formalobjekt ist der geziemende Gebrauch jener delectationes. Subjekt der Mäßigung ist der konkupiszible Teil des sinnlichen Begehrungsvermögens. Integrierende Teile der Haupttugend sind die Scham und die Ehrbarkeit, sie sind die beiden Bedingungen, die zusammentreffen müssen, um den Akt der Mäßigung in vollkommener Weise zu üben; die Mäßigung drängt ja das zurück, was für den Menschen das Erniedrigendste ist, die brutales voluptates, gewisse ihm mit dem Tier gemeinsame Triebe und Lüste, der Mäßigung eigentümlich ist daher eine besondere geistige Schönheit oder, was dasselbe ist, die honestas oder Ehrbarkeit (S. th. 2, 2, q. 145, a. 4.). Und wie mit der Mäßigung diese geistige Schönheit oder die Liebe zum Schicklichen, an sich jeder Tugend eigentümlich, in besonderer Weise verbunden erscheint, so ist sie ohne die Scham, die Scheu vor dem Schimpflichen, nicht zu denken , auch sie ist Vorbedingung und Vorbereitung für die Tugend der Mäßigung (S. th. 2, 2, q. 144, a. 4 ad 4). Die Arten der Mäßigung ergeben sich aus der Wesensbestimmung der Mäßigung; ihre Arten sind Mäßigkeit und Keuschheit. Die Mäßigkeit (abstinentia) bedeutet den richtigen, vernunftgemäßen Gebrauch und die gleichfalls durch die Vernunft geleitete Enthaltung von Speisen zu sittlichem Zwecke, wobei die Rücksicht auf Person, Gesundheit und Umgebung zu beachten ist, den sittlichen Zweck bildet die Unterwerfung der Sinnlichkeit unter den Geist; ein Akt der Enthaltsamkeit ist das Fasten, ieiunium et abstinentia sensu angustiore (S. th. 2, 2, q. 146f.). Dazu kommt die Nüchternheit (sobrietas), die Mäßigkeit im Genuss berauschender Getränke, eine besondere Tugend, weil durch Übermaß der Gebrauch der Vernunft und damit der Maßstab des Sittlichen beseitigt wird (S. th. 2, 2, q. 149). Was die Beherrschung der Geschlechtslust betrifft, so regelt die Keuschheit (castitas) den Gebrauch der Geschlechtslust hinsichtlich des geschlechtlichen Verkehrs (quantum ad delectationemprin-cipalem ipsius coitus); davon zu unterscheiden, allerdings nicht im Sinne einer virtus a castitate distincta, sed exprimens castitatis circumstantiam quandam, ist die Schamhaftigkeit (pudicitia), sie bezieht sich auf die untergeordneten sinnlichen Freuden, wie sie mit Küssen, Berührungen, Umarmungen, Blicken, Worten sich verbinden, sie beachtet also die Anfänge und Zeichen der Unkeuschheit (S. th. 2, 2, q. 143, a. un. q. 151, a. 4); zum Schutze der Keuschheit dient die Scham. Die Keuschheit hat, indem sie den schwer zu zügelnden, zur Sicherung der weisen Absichten des Schöpfers der Menschennatur eingepflanzten Geschlechtstrieb regelt, nicht nur eine große soziale Aufgabe zu erfüllen, sie hat zugleich, indem sie die Herrschaft des Geistes aufrichtet, durch Selbstbeherrschung und Verantwortungsbewusstsein zur Festigung der sittlichen Persönlichkeit beizutragen. Die edelste Blüte der Keuschheit ist die Jungfräulichkeit, deren Materie die körperliche Integrität ist, die seminis resolutione voluntaria graviter peccaminosa beseitigt wird und deren Form oder maßgebendes Prinzip in dem dauernden, nach der Auffassung von Augustinus und Thomas durch Gelübde gefestigten, jedenfalls auf Gott bezogenen Entschluss besteht, die Jungfräulichkeit zu bewahren (S. th. 2, 2, q. 152, a. 3 ad 4); da die Virginität an sich mehr geeignet ist, den Menschen seinem letzten Ziele anzunähern, als die Keuschheit im übrigen, so steht die aus Liebe zu Gott erwählte Virginität höher als die Mäßigung (S. th. 2, 2, q. 155, a. 4. q. 152, a. 5, Trid., sess. 21, De sacr. matr., can. 10). Der Mäßigung verwandte Tugenden sind Selbstbeherrschung (continentia), Demut, Sanftmut, Milde, Wissbegier und Sittsamkeit (modestia). Die Selbstbeherrschung im gewöhnlichen Sinne, zu unterscheiden von der continentia im höheren Sinne, worunter die Keuschheit zusammen mit der Virginität zu verstehen ist, erscheint als Entschlossenheit, den schlimmen Begierden, vermittelt durch den Gefühlssinn, zu widerstehen; die Selbstbeherrschung ist gegenüber der Mäßigung nur als unvollkommen und nicht als Tugend im strengen Sinne aufzufassen; bei der eigentlichen sittlichen Tugend ist sowohl der Akt gut als auch das Subjekt des Habitus, hier aber ist vorausgesetzt, dass das sinnliche Begehrungsvermögen noch von stürmischen Leidenschaften bewegt wird; anders bei der Tugend der Mäßigung: hier sind diese Stürme beschwichtigt, die schlimmen Begierden sind überwunden und verschwunden (S. th. 2, 2, q. 155. 3, q. 7, a. 2 ad 3. q. 55, a. 5 ad 3. 2, 2, q. 58, a. 3 ad 2); Subjekt der Enthaltsamkeit ist der vernünftige Wille, der die Versuchung überwindet (S. th. 2, 2, q. 155, a. 3). Die Demut, die Sanftmut und die Milde oder die Mäßigung im Strafen seitens des Oberen (S. th. 2, 2, q. 157 und 160 f.) weisen zwar eine ganz andere Materie auf als die Mäßigung selbst, hier handelt es sich um die sinnlichen Affekte des konkupisziblen Begehrungsvermögens, dort um andere Objekte, wie bereits die Wesensbestimmung der Milde zeigt; gleichwohl sind sie als der Mäßigung verwandte Tugenden zu erachten, weil der modus refrenandi ein ähnlicher ist, weil nämlich die Art und Weise, wie die Vernunft dabei die Mitte festsetzt, mit dem Verfahren der Mäßigung übereinstimmt, sofern ein zu weit gehendes Begehren gezügelt wird (S. th. 2, 2, q. 143, a. un. ad 2); so hat die Sanftmut die Aufgabe, leidenschaftlichen Zorn in Schranken zu halten (circa maximas iras, S. th. 2,2, q. 129, a. 2). Aus analogem Grunde gehören Wißbegier und Sittsamkeit hierher. Die übernatürliche Tugend der Mäßigung behält das übernatürliche Ziel der Seligkeit bei ihrem »corpus in servitutem redigere« (I Kor. 9, 27) stets vor Augen, diese Unterwerfung bleibt Mittel zum Zweck. Der Mäßigung und der Tugend der Hoffnung (S. th. 2, 2, q. 19, a. 9 ad 1. q. 141, a. 1 ad 3) entspricht das donum timoris, die Gabe der kindlichen Furcht Gottes; die Hoffnung nämlich lässt uns auf die göttliche Hilfe vertrauen, die Gabe der Furcht erfüllt uns mit Scheu, jene Hilfe aufzugeben. Der Zusammenhang von Mäßigung und Furcht Gottes wird klar, wenn man bedenkt, dass der Mensch durch die Gabe der Furcht vervollkommnet und geschützt wird gegen die ungeordnete Begierde nach sinnlich Ergötzlichem (S. th. 1,2, q. 68, 4). Der Gabe der Furcht entspricht wieder die erste Seligkeit (Matth. 5, 3. S. th. 2, 2, q. 19, a. 12): dank der Gabe der Furcht meidet man die Begierden und Genüsse der Welt und man wird »arm im Geiste« (S. th. 1, 2, q. 69, a. 3 ad 3. 2, 2, q. 161, a. 2 ad 3), daher das Wort des heiligen Ambrosius, die Armut gehöre zur Mäßigung, die dem sinnlich Lockenden nicht nachgeht (paupertas pertinet ad temperantiam, quae illecebrosa non quaerit. S. th. 1, 2, q. 69, a. 3 ad 6). Die hieher gehörigen Früchte sind Bescheidenheit, Enthaltsamkeit (im vollkommenen Sinn) und Keuschheit. Gegensätze der Mäßigung und der damit zusammenhängenden Tugenden sind die Maßlosigkeit im Begehren und im Genuss, peccatum superfluae concupiscentiae (S. th. 2, 2, q. 142, a. 2), und anderseits die Empfindungslosigkeit, wobei man gegen die natürliche Ordnung und gegen die Vernunft an sinnlicher Freude sich versagt, was nach den Umständen erforderlich wäre; würde man so unfähig, seine Pflichten zu erfüllen, oder würde man sich schweren Schaden an der Gesundheit zufügen, dann wäre solches Verhalten geradezu schwer sündhaft; damit hat es jedoch nichts zu tun, wenn man etwa um höherer Zwecke willen auf die Ehe verzichtet oder andere Entsagungen sich auferlegt, denn das ist nicht wider die Vernunft, sondern ihr durchaus entsprechend (S. th. 2, 2, q. 142, a. 1). Dazu kommen die Gegensätze zu den der Mäßigung verwandten Tugenden, die unschwer festzustellen sind: Unmäßigkeit im Essen und Trinken, Trunkenheit, Unkeuschheit, Unschamhaftigkeit, Hochmut, sündhafter Zorn oder Zornmütigkeit, Grausamkeit; im Gegensatz zur geordneten Wissbegier stehen Neugier und Nachlässigkeit in Aneignung des erforderlichen Wissens, im Gegensatz zur Sittsamkeit und Bescheidenheit die Selbstvernachlässigung sowie Prunksucht, Unbescheidenheit, Taktlosigkeit und ähnliche Fehler im äußeren Verhalten, in Haltung und Kleidung. Rang der Tugenden Unter allen Tugenden nehmen die später zu behandelnden theologischen Tugenden die erste Stelle ein, denn sie reichen, weil Gott ihr unmittelbares Objekt ist, an das Ziel selbst, die erste Regel der menschlichen Handlungen, heran, sie bewirken, dass man Gott direkt anhängt, während die sittlichen Tugenden bewirken, dass man etwas Irdisches verachtet, um Gott sich hinzugeben (S. th. 2, 2, q. 104, a. 3. q. 23, a. 6). Fassen wir nur die erworbenen Tugenden ins Auge, so steht eine Tugend um so höher, je näher sie der Regel der Vernunft kommt, je näher sie also ihrem Wesen nach an die Vernunft heranreicht und je mehr daraus Licht und Kraft der Vernunft hervorleuchten, je wichtiger deshalb ihr Objekt und ihr spezifischer sittlicher Wert ist. Vergleicht man die intellektuellen und die sittlichen Tugenden, so gebührt offenbar an sich den intellektuellen Tugenden der Vorrang, denn sie ordnen die Vernunft selbst, das hegemonische Prinzip, wird doch auch einst die Seligkeit in der Erkenntnis der Wahrheit bestehen; sie haben das vornehmere Objekt, weil die Vernunft etwas im allgemeinen, seiner Idee nach erfasst, während das Begehren sich auf das bestimmte einzelne richtet (S. th. 1, 2, q. 66, a. 3). Wird aber die Tugend in ordine ad actum betrachtet, alsdann wird die Moraltugend höher zu stellen sein, da sie den Willen vervollkommnet, dessen Sache es ist, die anderen Vermögen zur Tätigkeit zu bewegen; ganz augenscheinlich gebührt eben vom ethischen Gesichtspunkt aus den Moraltugenden der Vorrang, denn sie bewirken nicht nur die Fähigkeit, richtig zu handeln, sondern zugleich den guten Gebrauch im sittlichen Sinne, den guten Gebrauch auch der intellektuellen Befähigung (S. th. 1,2, q. 66, a. 3 ad 2). Unter den sittlichen Tugenden erscheinen die Kardinaltugenden als die Haupttugenden, virtutes principales. Allen anderen sittlichen Tugenden geht die Klugkeit voran, als deren Führerin und Leiterin. Ihr folgt dem Range nach die Gerechtigkeit; ihr kommt der Vorzug vor Tapferkeit und Mäßigung nach Subjekt und Objekt zu, denn sie ordnet den freien Willen und bezieht sich auf die Handlungen dem Nächsten gegenüber und im Hinblick auf das Gemeinwohl, also nicht nur das Innere des Menschen muss dabei geordnet sein, sondern überdies das äußere Tun, und zwar ratione boni communis. Die beiden anderen Kardinaltugenden, Tapferkeit und Mäßigung, regeln die Affekte, betreffen also den Menschen zunächst in seiner Beziehung zu sich selbst (Quaest. disp. de virt. cardin. a. 1 ad 7); ihr Subjekt ist das sinnliche Begehrungsvermögen. Nicht als ob der entscheidende Akt, der actus principalis der Moraltugenden auf den irasziblen oder konkupisziblen Teil zurückzuführen wäre, dieser Akt ist bei der Tugend stets im vernünftigen Willen zu suchen und besteht in der freien Wahl, aber die Energie des vernünftigen Willens reicht bis in das Gebiet der sinnlichen Affekte; indem sie sich immer wieder nach der Vernunft betätigen, erhalten jene zwei Seelenteile eine Geneigtheit, der Vernunft zu gehorchen, insofern werden sie vernunftgemäß geordnet und zu Trägern der Tugend (virtutes istae sunt quidem in irascibili (et concupiscibili) quantum ad earum deri-vationem, sed secundum originem et inchoationem sunt in ratione et in voluntate, quia principalis actus virtutis moralis est electio, quae est actus appetitus rationalis, sed ista electio per quandam applicationem terminatur ad passiones irascibilis et concupiscibilis secundum temperantiam et fortitudinem. Quaest. disp. de virt. card., a. 4 ad 13). Die Tapferkeit ist der Mäßigung voranzustellen, dies ergibt sich aus dem Grundsatze, daß eine Tugend um so höher steht, je mehr das Gut der Vernunft dabei zur Geltung kommt (quanto magis relucet rationis bonum), je wichtiger und schwieriger daher die Aufgabe einer Tugend ist, um so höher hat man sie zu schätzen (in erster Linie kommt nicht sowohl die Schwierigkeit als die ratio boni in Betracht, S. th. 2, 2, q. 123, a. 12 ad 2. q. 141, a. 5 ad 2); nun ordnet die Tapferkeit oder der Starkmut das sinnliche Begehren der Vernunft dort unter, wo das Leben, der Erdengüter größtes, in Frage kommt und wo es sich darum handelt, die Todesschrecken zu überwinden. Die Mäßigung dagegen ordnet den Gebrauch der Mittel, die das Leben von Individuum und Art zu erhalten bestimmt sind, bestehend in Ernährung und Fortpflanzung. Nimmt man noch hinzu, daß die Tapferkeit von außerordentlicher unmittelbarer Bedeutung für das Gemeinwohl ist, so wird ihr Vorrang vor der Mäßigung vollends einleuchtend (S. th. 1, 2, q. 66, a. 4. 2,2, q. 141, a. 8. q. 142, a. 3 ad 1). So wird auch ohne weiteres klar, dass die Kardinaltugenden mit Recht als solche und als Haupttugenden bezeichnet und betrachtet werden, die den mit ihnen zusammenhängenden Tugenden an Rang voranstehen; die Kardinaltugenden ordnen die Haupttätigkeiten der Seele, sie haben auf jedem Lebensgebiet die wichtigste Aufgabe und das wichtigste Objekt, sie regeln die Grundverhältnisse des Lebens. Die Kardinaltugenden bilden daher Voraussetzung und Angelpunkt für die anderen Tugenden: in eis principalius versatur humana vita et super eas aliae fundantur (Quaest. disp. de virt cardin. a. 1 ad 12. In 3 Sent. d. 33, q. 2, a. 1 ad 2). Wird gleichwohl eine untergeordnete Tugend als größer bezeichnet, so gilt dies nicht vom Wesen, sondern in bestimmter Hinsicht; so kann man die Freigebigkeit in gewisser Beziehung größer nennen als die Gerechtigkeit, weil der Freigebige weitergeht als der Gerechte und von dem Eigenen gibt. Trotzdem bleibt aber die Gerechtigkeit die Grundtugend und die Angeltugend; denn die Freigebigkeit setzt die Gerechtigkeit voraus, würde man, was man gibt, zuerst in ungerechter Weise sich aneignen, so könnte von Freigebigkeit keine Rede sein, folglich ist Freigebigkeit ohne Gerechtigkeit nicht denkbar, wohl aber umgekehrt (S. th. 1,2, q. 66, a. 4 ad 1). Allerdings ist eine wichtige Einschränkung zu machen: die Kardinaltugenden sind die vornehmsten unter den mit ihnen zusammenhängenden Tugenden, vorausgesetzt, dass es sich um ein Objekt derselben Art und nicht um einen höheren Gesichtspunkt handelt, wie etwa bei der Gottesverehrung im Verhältnis zur Gerechtigkeit auf irdischem Gebiete. Die mit der Haupttugend zusammenhängenden Tugenden können näherhin in dreifachem Verhältnis zur Kardinaltugend stehen, sie können sich darstellen als partes integrales, partes subiectivae und partes potentiales. Unter partes integrales sind Bedingungen zu verstehen, die zusammentreffen müssen, damit der Akt der Haupttugend vollkommen ist. So sind integrierende (wesentliche) Teile der Gerechtigkeit die Geneigtheit, das Unrecht zu vermeiden, und der Wille, das, was gerecht ist, zu tun. Hier geht man von einer Analogie aus, von der Vergleichung der Tugend mit einem Gebäude; wie hier Fundament, Wände, Dach integrierende Teile darstellen, ähnlich dort die untergeordneten Tugenden im Verhältnis zur Haupttugend: doch ist die Analogie nicht einseitig so zu verstehen, als ob die zusammengefügten Nebentugenden die Haupttugend ergäben, vielmehr in dem bereits festgestellten Sinne. Die partes subiectivae bedeuten nichts anderes als Arten der Haupttugend, diese erscheint als Gattung, so etwa die Gerechtigkeit, ihre Arten sind die legale und die besondere Gerechtigkeit, die allerdings nicht einfach koordiniert einander gegenüberstehen; leicht verständlich wird die Ausdrucksweise, wenn man den Sprachgebrauch des heiligen Thomas im übrigen beachtet, so bezeichnet er z. B. Rind und Löwe als partes subiectivae der Gattung Tier, weil sie Teile der Gattung sind und als Subjekt, als Träger der Gattung Tier, demgemäß als Arten dieser Gattung erscheinen. Mit partes potentiales sind solche untergeordnete Tugenden gemeint, die zum Machtbereich der Haupttugend gehören, sofern sie nämlich ein wichtiges Wesenselement der Grundtugend aufweisen, aber in anderer Hinsicht hinter ihr zurückbleiben, es handelt sich also hier um die »annexen« oder verwandten Tugenden (S. th. 2, 2, q. 48, a. un. q. 143, a. un.). Verknüpfung der Tugenden Die Frage, ob eine Verknüpfung der Tugenden bestehe, ob sie konnex seien, ist zu bejahen oder zu verneinen, je nachdem man an die Tugend im vollkommenen oder im unvollkommenen Sinne denkt. Eine Tugend kann in der letzten Weise vorhanden sein, sofern man dank einer natürlichen Neigung oder auch einer Gewohnheit zu irgendetwas Gutem, zum Wohltun oder zur Milde, geneigt ist; in diesem Sinne besteht keine Verknüpfung der Tugenden, es kann also die eine ohne die andere existieren. Anders, wenn die Tugenden im vollkommenen Sinn genommen werden; eine solche Tugend besteht in einer gefestigten Geneigtheit ad bonum opus bene agendum, zu guter und mit der rechten Gesinnung vollzogener Betätigung, diese Gesinnung ist in der Absicht gegeben, die Regel der Vernunft selbst zu befolgen, diese dauernde Intention ihrerseits ist nichts anderes als die Klugheit, die recta ratio agibilium, das stetige Gewilltsein, nach Vernunft zu handeln und die rechte Wahl zu treffen. Die rechte Wahl trifft man jedoch lediglich, wenn man nicht nur dank der Moraltugend die entsprechende direkte Neigung zum gebührenden Ziel hat, sondern auch dank der Klugheit die Mittel zum Ziel wählt, umgekehrt setzt die Klugheit ihrerseits wieder die Moraltugenden voraus, sie nimmt den Ausgangspunkt von den praktischen Zielen, wozu man sich vermöge der sittlichen Tugenden richtig verhält (S. th. 1, 2, q. 65, a. 1. q. 73, a. 1). Das natürliche Band, das die Tugenden zusammenschließt, ist somit die Klugheit, die das formale, entscheidende Element der Tugend darstellt (S. th. 2, 3, q. 152, a. 3 ad 2), woraus auch die Tatsache zu erklären ist, dass der Habitus einer Tugend den Träger gut macht. Doch ist dies nicht so gemeint, als käme dem Menschen, der die Klugheit und damit die anderen Tugenden besitzt, nun jeder Akt einer jeden Tugend zu, man denke an Freigebigkeit, Hochsinnigkeit (S. th. 2, 2, q. 129, a. 3 ad 2), Geduld im Leiden und andere Tugenden; man kann nur sagen, wer die Klugheit besitzt, hat die anderen Tugenden in ihrem Prinzip, eben der Klugheit, entweder wirklich oder »im Sinne der nächsten Disposition«, das heißt, wenn die Gelegenheit und Notwendigkeit für ihn eintritt, wird er es rasch lernen, die betreffende Tugend zu üben. Auf übernatürlichem Gebiete bildet, abgesehen von der Klugheit, in letzter Linie die Caritas das einigende Band. Signatur www.VIAVERITAS.eu euch schmähen und verfolgen und lügnerisch allerlei Arges wider euch reden um meinetwillen! „Gepriesen sei der Herr durch der Engel Lobgesang“ | |||
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Die theologischen Tugenden Zur Erreichung des alle Begriffe und natürlichen Kräfte übersteigenden höchsten Zieles reichen die natürlichen Prinzipien, nämlich Vernunft und Wille, nicht aus, denn sie sind auf Gott nur als Anfang und Ende der menschlichen Natur und nicht als Gegenstand der Seligkeit hingeordnet (S. th. 1, 2, q. 62, a. 1 ad 3). Deshalb genügen die erworbenen Tugenden nicht zur Erreichung der Seligkeit, sie disponieren den Menschen nur in Beziehung auf seine Natur, sofern er Mensch ist, sie bewirken, dass er entsprechend dem natürlichen Licht der Vernunft wandelt; soll er sein ewiges Ziel erreichen und entsprechend dem übernatürlichen Licht wandeln, alsdann bedarf er der Gnade und der eingegossenen Tugenden (Röm. 5, 5; vgl. Denz. 198. 800 821), und vor allem der theologischen Tugenden, die zugleich mit der Gnade, jedoch in verschiedenem Maße (Trid., sess. 6, de iustif., cap. 7) mitgeteilt werden (S. th. 1,2, q. 65, a. 3. Cat. Rom. 2, 2, 51). Die theologischen Tugenden heißen so, abgesehen davon, dass sie von Gott eingegossen und geoffenbart sind, besonders deshalb, weil sie Gott zum unmittelbaren Objekt haben. Sie unterscheiden sich auch insofern von den sittlichen Tugenden, als sie nicht wie diese in der rechten Mitte hinsichtlich des Objektes bestehen, kann man doch Gott nicht etwa zuviel lieben oder zusehr auf ihn hoffen, immerhin lässt sich jene Wesensbestimmung hier in dem Sinne anwenden, dass man die Akte der Liebe und der anderen theologischen Tugenden zu erwecken hat, wann man soll und wie man soll usw. (medium quoad nos). Während die erworbene Tugend nicht durch einen einzelnen Akt verlorengeht, sondern nur infolge eines entgegengesetzten Habitus verschwindet, werden die theologischen Tugenden und überhaupt die übernatürlichen Tugenden zugleich mit der Gnade, also durch eine einzige Todsünde, eingebüßt. Sie sind mit der Gnade so eng verbunden, dass sie mit dieser verloren, vermehrt und verringert werden. Für die Mitteilung der theologischen Tugenden seitens Gottes an den Menschen lassen sich gewisse Kongruenzgründe geltend machen. Es ist ja auch eine natürliche Tugend des Glaubens, des Hoffens und der Liebe zu Gott denkbar, wiewohl der Mensch im gefallenen Zustande nicht mehr fähig ist, Gott über alles zu lieben, weil hier der Egoismus ein zu starkes Gegengewicht bildet (S. th. 1,2, q. 109, a. 3). Aber von dieser Tugendübung ist dasselbe zu sagen, was von den natürlichen Kräften und Bemühungen des Menschen im Allgemeinen bereits festgestellt wurde. Die Seelenvermögen bedürfen, um als Prinzip übernatürlich verdienstlicher Betätigung erscheinen zu können, nicht nur der Ergänzung durch natürliche Tugenden, sondern durch habitus supernaturales, die das Tun und Lassen, wie jeder Habitus, leicht und freudvoll gestalten (S. th. 1, 2, q. 109, a. 3 ad 1), wenngleich schlimme Dispositionen die Auswirkung und Wirkungsweise zu beeinträchtigen imstande sind (S. th. 1, 2, q. 65, a. 3 ad 2. Quaest. disp. de virt. cardin. a. 2 ad 3). Durch die theologischen Tugenden werden somit die Seelenvermögen vervollkommnet, diese sind ihr Subjekt (S. th. 1, 2, q. 110, a. 3f. 3, q. 62, a. 2). Die natürliche Kraft muss sowohl nach Seiten der Vernunft als auch des Willens ergänzt werden, nämlich durch die Erkenntnisse des Glaubens sowie durch entsprechende übernatürliche Willensenergien, und zwar so, dass der Wille auf das Ziel als mögliches und erreichbares, wenngleich schwer zu erlangendes, gerichtet ist, worin das Wesen der Hoffnung besteht, und überdies so, dass der Wille in vorbereitender und keimhafter Weise mit Gott geistig vereinigt wird in der Liebe. Schon vom natürlichen Standpunkt aus ist festzustellen, dass es unnatürlich wäre, trotz erlangter Gottes- und Glaubenserkenntnis sich gleichgültig zu verhalten, also nicht nach dem erkannten Gut zu streben und ihm anzuhangen. Dem Range nach nimmt die Caritas unter den theologischen Tugenden die erste Stelle ein. Genetisch allerdings, nach der Ordnung des Werdens, gehen die Akte des Glaubens und der Hoffnung voran, die theologischen Tugenden selbst werden gleichzeitig mit der Gnade der Seele verliehen (S. th. 1,2, q. 62, a. 4); fraglich ist, ob Glaube und Hoffnung als Habitus vor der Gnade und Liebe jemals eingegossen werden, sicher dagegen ist, dass zuvor schon Akte der theologischen Tugenden mit Hilfe der aktuellen Gnade erweckt werden können. Nie kann die Tugend der Caritas ohne Glaube und Hoffnung existieren, wohl aber sind diese ohne Liebe und ist der Glaube ohne Hoffnung denkbar (S. th. 2, 2, q. 6, a. 2 ad 3). Dass die Caritas dem Range nach voransteht, ergibt sich aus dem ihnen eigentümlichen Verhältnis zum letzten Ziel; Glaube und Hoffnung schließen eine gewisse Entfernung vom gemeinsamen Objekt in sich; der Glaube erkennt Gott wie von weiter Ferne, die Hoffnung strebt nach dem Ziel als entferntem; anders die Liebe, sie nimmt gleichsam den einstigen Gottesbesitz voraus, wiewohl in unvollkommener und keimhafter Weise (I Joh. 4. 16. S. th. 1, 2, q. 66, a. 6. 2, 2, q. 23, a. 6). Dazu kommt, was schon der Apostel von der Caritas rühmt, dass sie ewig bleibt (I Kor. 13, 8. 13. S. th. 1, 2, q. 67, a. 3ff.5. Die außerordentliche Bedeutung der Caritas erhellt schon daraus, dass ihr Akt, der Akt der vollkommenen Liebe, unfehlbare nächste Disposition für die heiligmachende Gnade ist. Weiterhin kommt in Betracht die Bedeutung der Caritas für die anderen theologischen Tugenden und für die Tugenden überhaupt. Durch die Caritas erhalten die beiden anderen theologischen Tugenden ihre Vollendung oder Form (S. th. 1, 2, q. 62, a. 4. 2, 2, q. 23, a. 8), indem sie dadurch auf das letzte Ziel bezogen und verdienstlich werden, sonst sind sie habitus informes (S. th. 1, 2, q. 71, a. 4); nur so, vermöge der Caritas, will der Mensch, wie es sich nach Gottes Willen gebührt (debito modo, S. th. 1,2, q. 65, a. 4 ad 1. Gratia non habet ordinem ad actum nisi caritate mediante). Die Caritas erscheint so als Wurzel und bewirkende Ursache der anderen theologischen Tugenden und der übrigen Tugenden ohne Ausnahme. Auch für die übrigen Tugenden ist somit die Caritas Ziel, Wurzel und Form, die Caritas ordnet sie und ihre Tätigkeit auf das Ziel hin und bewegt den Willen zur Betätigung, wie sie nach dem Arausicanum »sein soll« (ut sicut oportet agere valeamus, can. 6); eine Bedeutung, die damit zusammenhängt, daß auf praktischem Gebiet der Wille als Prinzip, als bewegendes Prinzip des Willens aber, also ausschlaggebendes Prinzip eben die den anderen Tugenden gebietende Caritas erscheint (S. th. 2, 2, q. 23, a. 7 f.). So ist auch der Einwand, es sei unmöglich, die anderen Tugenden aus der Liebe inhaltlich abzuleiten, bereits zurückgewiesen; die Caritas gebietet die Akte der anderen Tugenden, sie erhält und nährt diese (S. th. 2, 2, q. 23, a. 8 ad 2 und 3), nicht jedoch ist die Caritas in dem Sinne Form der anderen Tugenden, als sollten sie ihrem Wesen nach daraus abgeleitet werden, nicht essentialiter oder exemplariter, sondern effective ist sie deren Form (S. th. 2, 2, q. 23, a. 8 ad 1); sie ist auch nicht Form exemplariter, im Sinne der vorbildlichen Ursache, wenigstens nicht in dem Sinne, als wären die anderen Tugenden mit ihr derselben Art, sondern nur in dem Sinne, dass sie gewissermaßen nach dem Vorbild der Caritas sich zu betätigen haben (Quaest. disp. de carit. a. 3 ad 6. Vgl. I Kör. 13, 4ff.). Allerdings nennt Augustinus die Kardinaltugenden ordo amoris (De civ. Dei 15, 22). Ordnung der Liebe, aber nicht etwa, weil sich die Kardinaltugenden ihrem Wesen nach aus der Caritas ableiten, sondern weil die sittliche Tugend als geordnetes Begehren erscheint, dieses aber die Liebe, den Grundzug aller Affekte, voraussetzt, nach dem bekannten Wort: quid est velle quam amare? Geordnet ist demgemäß das Begehren, wenn die einzelnen Güter entsprechend ihrem durch die Beziehung zu Gott abgestuften Wert erstrebt werden. Denkt Augustinus hier, wie anzunehmen ist, an die Caritas selbst, so wäre es gleichwohl, nach seiner gesamten Auffassung zu schließen, nicht berechtigt, ihm jene abgelehnte Ansicht zuzuschreiben, vielmehr würde er dann sagen: die Caritas ordnet alle Tugenden auf das letzte Ziel hin und macht sie so zum ordo amoris, id est caritatis (S. th. 1, 2, q. 62, a. 2 ad 3); in diesem Sinne ist es auch gemeint, wenn Augustinus fragt: Quid est boni cupiditas nisi Caritas? Durch die Tugend wird die Liebe in uns geordnet, wie Thomas feststellt (S. th. 1,2, q. 55 a. 1 ad 4, virtus = ordinatio amoris), und durch die Caritas wird sie vollendet. Omnis virtus est amor, sagt Wilhelm von Auxerre, secundum quod accipit denominationem ex com-paratione ad finem; er meint hier mit amor die Caritas, die unsere Tugendwerke auf das letzte Ziel bezieht, und wohl richtig erklärt er das oben besprochene Wort des heiligen Augustinus dahin, es handle von der Erreichung der ewigen Seligkeit und definiere deshalb die Kardinaltugenden per causam motivam, quae est ex compa-ratione finis, secundum quod finis movens efficientem, die Caritas ist bewegende Ursache, als solche erscheint sie im Vergleich zum Ziele, sofern das Ziel die bewirkende Ursache, nämlich die Liebe, in Bewegung setzt. Aus der Bedeutung der Caritas als forma virtutum ergibt sich, dass jeder Akt, soll er in vollem Sinne tugendhaft sein, durch die Caritas auf das Ziel bezogen werden muss, durch die Caritas als vis principalis et motiva auf sittlichem Gebiete; dabei ist jedoch vorausgesetzt, dass der Tugendakt selbst zugleich durch die Kraft der betreffenden Tugend geformt sei, denn ohne richtiges Werkzeug ist eine vollkommene Tätigkeit nicht denkbar; soll ein Werk der Gerechtigkeit durch die Caritas auf das letzte Ziel bezogen und verdienstlich werden, so muss es wirklich der Gerechtigkeit entsprechen, durch diese zuvor geformt sein (Röm. 13, 8. Augustinus, C. Jul. Pel. 4, 33. S. th. 1, 2, q. 65, a. 3 und ad 1. Extrem ist, wenn Augustinus, ebd. 4, 31, alles, was nicht auf Gott bezogen wird, für Sünde erklärt). Durch die Lehre von der Caritas als Form der Tugenden erhält auch die. Idee von der Verknüpfung der Tugenden ihre Vollendung. Wohl gibt es ohne Caritas wahre Tugend, jedoch bezieht sie sich nur auf Teilgüter; aber vollkommene Tugend ist ohne Caritas unmöglich. Umgekehrt setzt die Caritas die anderen Tugenden voraus, wie den Glauben, die Hoffnung, oder hat sie im Gefolge; echte Gottesliebe stellt alle Kräfte in den Dienst Gottes, die übernatürlichen Tugenden aber werden von Gott, der überall Vollendetes wirkt, mit der Caritas eingegossen (S. th. 2, 2, q. 23, a. 7. 1,2, q. 65, a. 3 und ad 1). Der Einwand, die katholische Moral häufe mit ihrer Annahme übernatürlicher Tugenden die mystischen Gnadenkräfte, lässt außer acht, dass die katholische Moral die Kräfte und Forderungen der menschlichen Natur unangetastet lässt, und beruht auf einer kleinlichen Auffassung, die nicht einmal dem weisen Wirken Gottes in der Natur gerecht zu werden vermag. Die eingegossenen sittlichen Tugenden Die übernatürlichen sittlichen Tugenden sind erforderlich, um die einzelnen Arten des Guten so zu vollbringen, wie es zur Erreichung des höchsten Zieles nötig ist, um die erworbenen Tugenden zu unterstützen und zu vollenden. Wohl wird der Mensch durch die theologischen Tugenden in genügender Weise auf Gott (secundum quandam inchoationem) hingeordnet, jedoch immediate, sie vermitteln also die Hinneigung direkt zum Ziele selbst, aber nun bedarf es noch der Vervollkommnung der Seele hinsichtlich der anderen Güter, freilich so, dass diese dem letzten Ziel untergeordnet werden (S. th. 1,2, q. 63, a.3). Huic autem (sc. der Taufgnade) additur nobilissimus omnium virtutum comitatus, quae in animam cum gratia divinitus infunduntur (Cat. Rom. 2, 2, 51. Trid., sess. 6, de instif., cap. 7). Die eingegossenen sittlichen Tugenden haben zwar auch die rechte Ordnung des menschlichen Lebens oder das Geschöpfliche und dessen Gebrauch nach den drei (übernatürlich gedachten) Beziehungen des Sittlichen zu Gott, zur eigenen Person und zum Nächsten als Materialobjekt, aber als Prinzip (Formalprinzip), als Form (Formalobjekt) und eigentümliches Motiv haben sie das in der übernatürlichen Ordnung, in der civitas Dei begründete Geziemende (honestum) der betreffenden Tugend sowie als Regel und Norm das Gesetz der Offenbarung, das Vorbild Christi und der Heiligen. So beziehen sich zwar, um ein Beispiel anzuführen, die eingegossene und die erworbene Mäßigung auf denselben Gegenstand an sich betrachtet, nämlich auf die delectabilia tactus, auf die durch den Tastsinn vermittelten sinnlichen Freuden, aber das ausschlaggebende Prinzip oder die Form ist verschieden beim Streben und bei der Betätigung hier und dort: beide suchen die Mitte, aber unter verschiedenem Gesichtspunkt, die eingegossene Tugend im Sinne des göttlichen Gesetzes, also der Hinordnung auf das letzte Ziel (Finalobjekt), die erworbene im Hinblick auf die Regel der Vernunft oder auf das bonum praesentis vitae (De virt. in com. 10. ad 8. Beispiele: Mäßigkeit, Keuschheit). Dazu kommen einige Tugenden, wie die Selbstverleugnung, die nur im Glauben erkannt und geübt werden können. Wenngleich der höchste und letzte Beweggrund, die Ehre Gottes, bei beiden Arten von Tugenden derselbe ist, so unterscheiden sich doch die erworbenen Tugenden von den eingegossenen der Art nach, denn hier ist die regula divina maßgebend, dort die regula rationis, die eingegossene Tugend bezweckt das richtige Verhalten zur civitas Dei, die erworbene das zur civitas humana (S. th. 1, 2, q. 63, a. 4). Doch stehen die eingegossenen Tugenden den erworbenen nicht beziehungslos gegenüber, die erworbenen Tugenden, die bewirken, dass die Seelenvermögen den natürlichen Antrieben der Vernunft zu gehorchen befähigt werden, erhalten so neue Motive, höheren Wert und größere Kraft. Die Akte der erworbenen sittlichen Tugend werden durch Vermittlung der eingegossenen Tugend beziehbar auf das letzte Ziel und durch die Caritas wirklich darauf bezogen (De virt. in com. a. 10 ad 4 sqq.). Die eingegossenen Tugenden ihrerseits sind Tugenden im vollkommenen Sinn (S. th. 1, 2, q. 63, a. 4. q. 65, a. 2. q. 109, a. 2). Was die Erlangung und die Veränderung sowie den Verlust der eingegossenen sittlichen Tugenden betrifft, so können sie, weil Menschenkraft übersteigend, nicht erworben werden durch eigenes Bemühen, desgleichen können sie nur durch Gott, nicht durch menschliches Tun gemehrt werden, sicut virtutes acquisitae augentur ex actibus, per quos causantur, ita virtutes infusae augentur per actionem Dei, a quo causantur. Die menschliche Betätigung erscheint daher immer nur als disponierend, sowohl wenn es gilt, die übernatürlichen Tugenden zu erlangen, als wenn es sich darum handelt, sie zu vermehren. Allerdings können wir im Stande der Gnade deren Vermehrung verdienen, aber nicht bewirken, entscheidend bleibt immer die Gnade des Heiligen Geistes (S. th. 1,2, q. 92, a. 1 ad 1. Quaest. disp. de virt. a. 11). Verlorengehen die übernatürlichen Tugenden durch die Todsünde; durch lässliche Sünde oder Unterlassung der Akte werden sie nicht gemindert, durch Unterlassung der Akte nicht, weil sie ja ohne Rücksicht auf diese Akte verliehen sind, durch die lässliche Sünde nicht, weil sie sich auf das Ziel beziehen, die lässliche Sünde aber das Ziel nicht berührt; allerdings werden sie durch lässliche Sünden indirekt gemindert, weil lässliche Sünden der Tugendübung, besonders durch Verdunkelung der Vernunft infolge von Leidenschaft, viele Hindernisse bereiten. Vermöge der übernatürlichen Tugenden, die eine höhere Kraft, verbunden mit einer gewissen Hinneigung, verleihen, werden die der Tugendübung entgegenstehenden Schwierigkeiten nicht etwa einfachhin beseitigt, zumal nicht die Konkupiszenz, das infolge der Erbsünde ungeordnete Begehren im Menschen, eine Schwierigkeit, die Augustinus geradezu als die difficultas bezeichnet und betrachtet; vielmehr werden jene Schwierigkeiten regelmäßig durch die erworbenen Tugenden zu beseitigen sein, diese sind also keineswegs überflüssig; immerhin aber machen Gnade und Caritas das Schwerste erträglich. Gaben und Früchte des Heiligen Geistes und die Seligkeiten Die Gabe des Heiligen Geistes (Is. 11,2) ist ein die Gnade begleitender Habitus, der die Seele befähigt, die Erleuchtungen und Gnaden des Heiligen Geistes aufzunehmen, und den Seelenvermögen eine leichte Beweglichkeit verleiht, wenn es gilt, der vom Glauben erleuchteten und über sich selbst hinausgehobenen Vernunft zu folgen. Dabei wird der Mensch mehr bewegt, als er sich selbst bewegt (S. th. 1, 2, q. 68, a. 1). Demgegenüber bewirkt die Moraltugend, dass man dem Gebot und der Anregung der Vernunft willig gehorcht, die den Menschen bei seinen inneren und äußeren Akten zu leiten hat; die Eigenart der Gaben bezieht sich somit nicht auf das Objekt, sondern auf den modus operandi, auf die Weise der Betätigung, sofern der Mensch dabei von einem höheren Prinzip bewegt wird (S. th. 1,2, q. 68, a. 2 ad 1). Dass die natürliche Erkenntnis und der natürliche Antrieb durchaus nicht genügen, um zur Seligkeit zu gelangen, ist wiederholt festgestellt worden, aber auch die Vervollkommnung durch die theologischen Tugenden genügt nicht, denn auch hier bleibt die Erkenntnis und die Liebe Gottes unvollkommen, was aber in unvollkommener Weise eine Form oder Kraft besitzt, muss von einem anderen bewegt werden, wie der Schüler von dem Meister geleitet werden muss; daher reicht zur Erlangung der Seligkeit die unvollkommene, von den theologischen Tugenden bewirkte Informierung nicht aus, wenn nicht von oben hinzukommen instinctus et motio Spiritus Sancti (S. th. 1,2, q. 68, a. 2). Die Gaben des Heiligen Geistes, die durch die Caritas verknüpft sind (Röm. 5, 5), wie die sittlichen Tugenden durch die Klugheit, stehen im unmittelbaren Dienst der theologischen Tugenden, denn diese verbinden die Seele mit Gott, die Gaben aber disponieren die Seele und ihre Kräfte, auf dass sie dem göttlichen Antrieb gehorchen. Das Verhältnis zwischen den theologischen Tugenden und den Gaben ist ein analoges wie zwischen den intellektuellen und den sittlichen Tugenden, durch jene wird die Vernunft selbst, die bewegende Kraft der sittlichen Tugenden, vervollkommnet, wie daher die Verstandestugenden höher stehen als die Moraltugenden und diese zu leiten haben, so stehen die theologischen Tugenden höher als die Gaben und bilden für diese die Richtschnur. Dass die Gaben vor den intellektuellen und sittlichen Tugenden den Vorrang haben, geht daraus hervor, daß die Gaben des Heiligen Geistes die Seelenkräfte im Verhältnis zum bewegenden Heiligen Geist vervollkommnen, die anderen genannten Tugenden vervollkommnen die Vernunft oder das Begehren mit Rücksicht auf die Vernunft, natürlich muss dort die Disposition eine ganz andere sein als hier, weil dort der Bewegende weit höher steht (S.th. 1,2, q. 68, a. 8). Wirkungen der Gaben sind die Früchte des Heiligen Geistes, wovon der Apostel zwölf namhaft macht, im griechischen Text sind allerdings nur neun aufgezählt (Gal. 5, 22); mit diesen Früchten verbindet sich, wie der Name andeutet, eine reine geistige Freude, eine Freude wie mit dem Genuss einer süßen Frucht; es sind wertvolle menschliche Akte übernatürlichen Charakters, die jedoch nicht vollkommen zu sein brauchen, denen es vielmehr nur in besonderem Maße eigentümlich ist, innere Befriedigung und Freude zu verursachen. Als vollständig muss die Aufzählung durch den Apostel nicht angesehen werden; so können auch die Seligkeiten als Früchte angesehen werden, freilich nicht umgekehrt (S. th. 1, 2, q. 70). Den Gegensatz bilden die Werke des Fleisches (Gal. 5, 17 ff. Offb. 22, 2). Höher wieder als die Früchte des Heiligen Geistes stehen die acht Seligkeiten, die, gleich den Früchten, vorwiegend den Gaben des Heiligen Geistes entspringen. Man versteht darunter hervorragende Akte der Tugenden und besonders der Gaben, die in ausnehmendem Maße geeignet sind, zur ewigen Seligkeit zu führen; so lässt die Tugend das Irdische richtig gebrauchen, die Seligkeit aber lässt es verachten, daher Matth. 5, 3 (Nr. 128). Zugleich erscheinen die Seligkeiten auch als beginnende Seligkeit hienieden; die acht Seligkeiten enthalten in ihrer ersten Hälfte das betreffende meritum, das Verdienst, wodurch die Seligkeit, die unvollkommene, hienieden und die vollkommene des anderen Lebens, vorbereitet wird, in der zweiten Hälfte ist der Lohn angegeben, der sich gleichfalls sowohl auf die unvollkommene als die vollkommene Seligkeit bezieht (S. th. 1, 2, q. 69, a. 2). Der Gerechte, sagt Leo XIII. in seiner Enzyklika über den Heiligen Geist (Divin. illud, d. d. 9. 5. 1897), der das Leben der göttlichen Gnade lebt und die entsprechenden Tugenden übt, bedarf der sieben Gaben des Heiligen Geistes, dadurch wird die Seele befähigt und gefestigt, den Einsprechungen und Antrieben des Heiligen Geistes zu folgen. Was deren Wirksamkeit betrifft, so führen sie zu vollendeter Heiligkeit, ihre Erhabenheit erhellt schon daraus, dass sie dem Wesen nach auch im Himmel, nur in vollkommener Weise, fortbestehen. Diese Geistesgaben erwecken den Wunsch und das Verlangen nach den Seligkeiten und bieten Hilfe zu deren Erreichung, zur Erreichung der Seligkeiten, die, wie Blumen im Frühling hervorbrechend, Anzeichen und Vorboten sind der ewig dauernden Seligkeit. Signatur www.VIAVERITAS.eu euch schmähen und verfolgen und lügnerisch allerlei Arges wider euch reden um meinetwillen! „Gepriesen sei der Herr durch der Engel Lobgesang“ |
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